Essen. Angela Merkel will die Energiepolitik “neu betrachten“. Wenn sie es ernst meint, müsste man die erneuerbaren Energien forcieren, Erdöl von anderen Anbietern kaufen und über “Fracking“ reden. Die Ministerpräsidenten werden sich jedoch in Details festbeißen.
Ist es noch Politik oder schon Spott? Hannelore Kraft geht davon aus, dass die Kanzlerin morgen erklären werde, was sie konkret unter einer „neuen Betrachtung der gesamten Energiepolitik“ verstehe. Nur: Es gibt keine Strategie, um auf Lieferausfälle aus Russland zu reagieren. Dass Angela Merkel einen Masterplan für Energieunabhängigkeit präsentieren wird, glaubt Kraft gewiss nicht. Der Bund und die Länder sind mit der Energiewende genug beschäftigt.
Die Debatte über Sanktionen wegen der Krim-Krise wird folgenlos bleiben. Die Wirtschaft macht weiter wie bisher: Der Siemens-Chef hofiert Putin, RWE verkauft DEA an einen russischen Oligarchen, Wintershall und Gazprom kooperieren. Erst recht entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die Bundeswehr für ihre Transportflüge nach Zentralafrika gerade eine russische Firma beauftragt hat. Sehr konsequent.
Aber: Nehmen wir Merkel beim Wort. Wenn sie es ernst meint, müsste man die erneuerbaren Energien forcieren und ein Programm für die Dämmungs- und Gebäudetechnik auflegen. Man müsste mehr Erdöl von anderen Anbietern kaufen, bräuchte eine große strategische Gasreserve, würde das Projekt eines Flüssiggas-Hafens in Angriff nehmen und generell mehr auf Lieferanten wie Norwegen, Katar, Algerien setzen. Man würde über „Fracking“ reden – damit neue Risiken eingehen – ebenso über fossile Energieträger wie die Kohle.
Die Energiewende würde mithin über den Atomausstieg und den Klimaschutz hinausreichen. Sie wäre eine Zielsetzung der nationalen Sicherheit und Souveränität. Und streng genommen wäre auch das zu kurz gedacht, denn im europäischen Verbund sind viele andere Staaten ungleich stärker von Energie aus Russland abhängig.
Wenn also die Ministerpräsidenten bei Merkel sind, werden sie nicht die Energiepolitik „neu betrachten“. Sie werden sich darüber streiten, ob die Vergütung für neue Anlagen im Schnitt auf zwölf Cent sinken soll, ob die Biomasse weiter gefördert und ob Unternehmen mit eigenem Kraftwerk eine EEG-Umlage zahlen sollen. Sie werden sich in Details festbeißen. Sie werden nicht das große Rad drehen.