Aus gesellschaftlicher Sicht stellt sich mehr denn je die Frage, welche Perspektive die Braunkohle noch hat in einem Land, das Vorreiter in Sachen Klimaschutz sein will. Ist es noch energiepolitisch notwendig, ganze Dörfer wegzubaggern und Menschen umzusiedeln, um Strom zu erzeugen?
Lange Zeit wurde nicht mehr so viel Strom aus Braunkohle erzeugt wie dieser Tage. Ausgerechnet der klimaschädliche Energieträger erlebt eine Renaissance. Energiewende paradox?
Nun ja, dass andere Energieträger die Lücken füllen müssen, die der Atomausstieg reißt, ist zunächst einmal logisch: Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, kommt unter anderem die Braunkohle ins Spiel.
Sie liefert günstigeren Strom als das vergleichsweise klimaschonende Gas, denn der Handel mit Verschmutzungsrechten funktioniert nicht richtig. Darunter leidet die Umwelt.
Andererseits sorgt der Abbau der heimischen Braunkohle gerade in NRW für jede Menge Arbeitsplätze. Allein der Essener Energiekonzern RWE beschäftigt im rheinischen Revier rund 10 000 Mitarbeiter. Ihre Jobs sind in Gefahr, sollte die Braunkohle in Deutschland keine Zukunft mehr haben.
Natürlich geht es dabei auch um einen Verteilungskampf: Während RWE rund 36 Prozent des Stroms aus Braunkohle erzeugt, sind es beim Düsseldorfer Konkurrenten Eon gerade einmal sechs Prozent. Stattdessen spielt Gas für Eon eine viel größere Rolle.
Aus gesellschaftlicher Sicht stellt sich mehr denn je die Frage, welche Perspektive die Braunkohle noch hat in einem Land, das Vorreiter in Sachen Klimaschutz sein will. Ist es noch energiepolitisch notwendig, ganze Dörfer wegzubaggern und Menschen umzusiedeln, um Strom zu erzeugen?
Der Ausstieg aus der Braunkohle sei überfällig, sagen Umweltschützer. Die Braunkohle werde noch viele Jahre lang gebraucht, mahnt die Industrie. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte, wenn Strom möglichst sicher, bezahlbar und sauber sein soll.
Auch die rot-grüne Landesregierung von Hannelore Kraft sollte bald ihren Beitrag dazu leisten, dass die Bürger in den betroffenen Regionen, die Beschäftigten und die Stromkunden ein Höchstmaß an Sicherheit für die nächsten Jahre bekommen. Im Ruhrgebiet stellt übrigens der Steinkohlebergbau gerade unter Beweis, wie sich ein Ausstieg gut und sozial organisieren lässt.
Eine Lehre aus dem Revier lautet: Auch wenn der notwendige Strukturwandel auf Jahre angelegt sein sollte, führt es nicht zum Ziel, Entscheidungen vor sich herzuschieben.