Wenn Hauptstadt-Fotografen SPD-Symbolik suchen, fahren sie ins Berliner Willy-Brandt-Haus. Dort schießen sie ihre Bilder, wenn die Großen der heutigen Sozialdemokratie ihre Erklärungen abgeben. Immer im Blitzlicht-Gewitter dabei: die Skulptur des Altkanzlers. Sigmar Gabriel mit Brandt, Frank-Walter Steinmeier mit Brandt, Andrea Nahles mit Brandt. Der Übervater ist allgegenwärtig, auch 21 Jahre nach seinem Tod.
Jetzt, in diesen Tagen der dritten Großen Koalition, gehen die Gedanken zurück in den Dezember 1966, als Christ- und Sozialdemokraten zum ersten Mal das Bündnis wagten. Kurt Georg Kiesinger, das ehemalige NSDAP-Mitglied, in einer Regierung mit dem erbitterten Hitler-Gegner Willy Brandt.
Doch es funktionierte, immerhin drei Jahre lang. Auch und gerade wegen Brandt, dem Versöhner und Pragmatiker. „Demokratie wagen“ war dann als Kanzler sein politisches Credo. Seine Ostpolitik, die er früh als einzig realistischen Weg zu einer damals noch für unmöglich gehaltenen Wiedervereinigung Deutschlands betrachtete, wird schon lange auch von seinen politischen Gegnern als wegweisend gerühmt. Auch deshalb erlebte Willy Brandt den 9. November 1989 als großes, persönliches Geschenk.
Viele beeindruckende Fotos, viele neue Dokumente sind über den wohl größten Sohn der SPD in diesen Tagen öffentlich geworden. Haften bleibt das Bild eines nachdenklichen, oft auch melancholisch wirkenden Mannes, der wenig gemein hat mit den führenden Politikern, die heute das Land regieren. Einen Willy Brandt in den Zeiten der Endlos-Talkshows und nie pausierenden sozialen Netzwerke mag man sich nicht wirklich vorstellen.