Essen. Es wird noch einige Jahre dauern, bis Thyssen-Krupp das Brasilien-Desaster so weit verdaut hat, dass Vorstandschef Hiesinger vom Krisen-Modus in eine klar erkennbare Vorwärtsstrategie umschalten kann. Bis dahin ist es ein langer und steiniger Weg.

Besondere Notsituationen führen zuweilen zu besonderen Wortschöpfungen. Bei Thyssen-Krupp haben sie sich das hübsche Wörtchen „Aufräumkosten“ einfallen lassen, um dort hineinzupacken, was im abgelaufenen Geschäftsjahr zu einem Verlust von 1,5 Milliarden Euro geführt hat. Eine immer noch monströse Zahl, doch angesichts der fünf Milliarden Minus im Jahr zuvor gilt: Elend ist relativ.

Die Vergangenheitsbewältigung ist mühsam. Es wird noch einige Jahre dauern, bis der Konzern das Brasilien-Desaster so weit verdaut hat, dass Vorstandschef Hiesinger vom Krisen-Modus in eine klar erkennbare Vorwärtsstrategie umschalten kann. Bis dahin ist es ein langer und steiniger Weg. Die teilweise Rückabwicklung des Nirosta-Verkaufs ist so ein Brocken, der da plötzlich hinter einer Wegbiegung auftauchte. Schadensbegrenzung, Zeit gewinnen, Risiken verschieben – mit dem Rücken zur Wand sind die Mittel der Wahl eingeschränkt.

Immerhin: Jetzt macht es der Verkauf des US-Stahlwerks möglich, Investoren um das dringend benötigte frische Kapital zu bitten. Welche Folgen das für den Ruhrgebietskonzern mit weltweit 156.000 Mitarbeitern haben wird, ist noch nicht absehbar. Die Krupp-Stiftung müsste gut 200 Millionen Euro aufbringen, um ihren Aktienbesitz über der Schwelle von 25 Prozent zu halten.

Bislang scheinen aber auch die anderen Großaktionäre Hiesinger zu vertrauen. Erfolgreiche Schadensbegrenzung kann den Wert eines beschädigten Unternehmens steigern. Zugleich hat Hiesinger den Konzern in einer dramatischen Geschwindigkeit umgebaut, 70 Prozent aller Chefposten neu besetzt. Neue Strukturen, neue Unternehmenskultur – hinter den Kulissen formiert sich ein neues Unternehmen.

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem Investoren wieder Dividende sehen wollen. Und sicherlich wird der eine oder andere Aktionär eine Filetierung attraktiv finden, wenn die teils gut verdienenden Einzelteile mehr wert sind als das Ganze. Der Vorstand hat jetzt Zeit gewonnen, und er braucht weitere. Im Sinne der Beschäftigten dieses für die Region so wichtigen Unternehmens ist zu hoffen, dass die Geduld der Geldgeber ausreicht.