Franziskus hat bereits mehrfach zu Barmherzigkeit gegenüber Geschiedenen und Toleranz gegenüber Homosexuellen aufgefordert. Die nun offenbar angeregte breite Diskussion über strittige Ehe- und Familienthemen kann als Versuch angesehen werden, die Kluft zwischen realem Leben und Lehre zu schließen.

Die Lebensrealität vieler Katholiken hat mit den Lehren der katholischen Kirche nur noch wenig zu tun. Gerade der Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten ist eine äußerst schmerzhafte Wunde im Glaubensalltag der Betroffenen. Insofern kommt es einer Revolution gleich, wenn der Papst jetzt erstmals eine Meinungsumfrage unter Gläubigen startet. Zwar war es auch bisher üblich, dass der Vatikan den Bischöfen Fragebögen zu verschiedenen Themen übermittelte. Aber dass nun die Gemeinden selbst antworten sollen und nicht die Oberhirten, gehört zu den bislang als undenkbar geltenden Schritten, mit denen Papst Franziskus die Kirche durchzulüften versucht.

Gerade im Bezug auf Familien gibt es dabei viele Baustellen. Franziskus selbst hat bereits mehrfach zu Barmherzigkeit gegenüber Geschiedenen und Toleranz gegenüber Homosexuellen aufgefordert. Die nun offenbar angeregte breite Diskussion über strittige Ehe- und Familienthemen kann als Versuch angesehen werden, die Kluft zwischen realem Leben und Lehre zu ­schließen.

Allzu große Hoffnungen auf schnelle Reformen sollte aber keiner hegen. Denn die Meinungsumfrage ist international. Und die Katholiken der Welt sind vielfach von existenzielleren Sorgen wie dem Kampf gegen Hunger und Gewalt geplagt als von den vermeintlichen Wohlstandsproblemen der reichen Nationen. Dennoch: Auch in Afrika und gerade in Lateinamerika wächst die Zahl der Ehescheidungen und Wiederverheiratungen, wer wüsste das besser als der Papst. Will man diese Gläubigen tatsächlich den dort explosionsartig wachsenden evangelikalen Gruppierungen in die Arme treiben? Wenn sich etwas bewegt, dann zuerst in dieser Frage.