In Wahljahren steigt die Zahl der politisch motivierten Straftaten oft. Es sind gewöhnlich Propagandadelikte. Doch kann man nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen, wenn Jörg Ziercke vor Provokationen, vor Gewalt im Wahlkampf warnt. Der Chef des Bundeskriminalamts ist kein Alarmist. Seine Warnungen haben eine neue Qualität, sind nachvollziehbar, gerade in NRW. Wir waren Schauplatz der Gewalt von Salafisten. Wir wurden Zeugen von Waffen- und Sprengstofffunden, von Todeslisten. Hier finden Neonazis in der Partei „Die Rechte“ ein neues Sammelbecken.
Vor einem Jahr haben die Salafisten an Rhein und Ruhr ihre Strategie geändert. Seither lautet die Devise: Raus auf die Straße, mehr Präsenz in der Öffentlichkeit. Dort stoßen sie auf die Islamhasser von „Pro NRW“. Es sind auf beiden Seiten Machtdemonstrationen. Pro NRW darf man nicht mit der NPD gleichsetzen. Zum einen wollen sie das politische System nicht stürzen. Zum anderen gilt die Partei nicht als antisemitisch. Noch ein Unterschied: Die rechte Szene hat das Thema Islam für sich nicht richtig entdeckt.
Man ist gespannt darauf, ob die NRW-Polizei ein Jahr nach den Ausschreitungen in Solingen und Bonn Konsequenzen ziehen wird. Wie Ziercke das Risiko anzusprechen, ist vielleicht schon die erste Reaktion. Auf jeden Fall sollte die Polizei auch früher einschreiten als vor einem Jahr. Wenn es stimmt, dass sich Milieus gegenseitig aufschaukeln, wird die Politik früher oder später auch über das Demonstrationsrecht diskutieren müssen. Ist es denn richtig, eine Demonstration in dem Wissen zu genehmigen, dass nur Gewalt provoziert werden soll?
Es steht uns ein heißer Sommer bevor, weil jeder Wahlkampf die Atmosphäre schnell anheizt, weil die Unsicherheit in der Euro-Krise mit Händen zu greifen ist und weil in ein paar Tagen in München ein Prozess beginnen wird, der uns die Gefahren des Rechtsextremismus wie das Versagen der Behörden vor Augen führen wird. Trotzdem brauchen wir nicht weniger Verfassungsschutz, sondern mehr. Bessere Expertise. Wie sich Leute radikalisieren – etwa die Attentäter von Boston –, entzieht sich einfachen Erklärungsmustern. Darin lauert eine neue Berechtigung für den Verfassungsschutz.