Politik tut sich höllisch schwer damit, Armut zur Kenntnis zu nehmen. Anders ist diese Trickserei, das Gerangel um Passagen in einem Armutsbericht nicht zu erklären. Arme sind als Wähler nämlich völlig uninteressant. Sie gelten als unpolitisch.

Lili war sechs und freute sich auf die Schule. Auf Mathe, Lesen, Schreiben und auf Sport mit anderen Kindern. Aber Sport ging nur mit Schuhen mit weißer Sohle. Weil die Mutter die nicht gleich kaufen konnte, blieb Lili auf der Bank sitzen. Und bekam von Mitschülern einen Ruf verpasst: „Du bist ein Asi.“

Brigitte Mey hat diese Geschichte erzählt. Sie leitet den Kindergarten St. Marien im Essener Nordviertel. Sie und ihre Kollegen vom Kita-Zweckverband kennen jede Menge dieser Geschichten. Man hört sie auch vielerorts in Duisburg, Dortmund, Gelsenkirchen, sogar im reichen Düsseldorf.

Politik tut sich höllisch schwer damit, Armut zur Kenntnis zu nehmen. Anders ist diese Trickserei, das Gerangel um Passagen in einem Armutsbericht nicht zu erklären. Politik erzählt gern (die eigenen) Erfolgsgeschichten, baut gern Leuchttürme, erklärt gern das Große und Ganze, umgibt sich mit Starken, Geistreichen und Glücklichen. Diese hässlichen Lili-Geschichten wollen wenige hören.

Arme sind als Wähler nämlich völlig uninteressant. Sie gelten als unpolitisch. Einige Millionen Menschen in Deutschland fallen durchs Raster, sind abgemeldet, dauerhaft abgehängt und womöglich auch noch selber schuld, wie manche finden. Erzieherinnen wie Brigitte Mey gehören zu jenen, die sich dennoch kümmern, die auch kleine Erfolge feiern und niemals sagen würden: Wir brauchen fünf Prozent Wachstum. Das Kind braucht erstmal Schuhe.