Am Beginn seines sechsten Krisenjahrs in Folge wählt Italien am Sonntag und Montag ein neues Parlament. Formal ist das ein Fortschritt. Im Herbst 2011, als die Lage am düstersten war, als Europas zweitgrößtes Industrieland die ganze Euro-Zone in den Abgrund zu reißen drohte, da war die Demokratie suspendiert. Da musste Berlusconi gehen, aber das Volk wurde nicht gerufen. Wen hätte es auch wählen sollen? Die Regierungsparteien waren am Ende, und die Opposition weder in der Lage noch willens, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

15 Monate hat nun der Hoffnungsträger Mario Monti regiert. Er hinterlässt gemischte Gefühle. Gewiss, die EU bescheinigt seinen Reformen, sie hätten das Land aufs richtige Gleis gesetzt, aber bei den Unternehmen und bei den Bürgern ist noch keine positive Wende angekommen. Sie zahlen viel mehr Steuern, sehen ihre Löhne aufs Niveau von 1993 zurückgefallen und spüren in jeder Familie, wie die Arbeitslosigkeit zunimmt, am stärksten bei jungen Leuten. Und vieles ist gar nicht reformiert worden: die aufgeblähte, ineffiziente öffentliche Verwaltung vor allem.

Wen sollen die Italiener jetzt wählen? Die große Auswahl täuscht darüber hinweg, dass die Strukturen die alten geblieben sind. Berlusconi verspricht ohne Sinn und Verstand das Blaue vom Himmel. Unter den Parteien herrscht weiterhin Gegnerschaft vor; eine große Koalition zur Lösung der Probleme des Landes wäre nötig, kommt aber nicht infrage. Die kometenhaft aufsteigende Protestbewegung des Populisten Beppe Grillo bietet keine Hoffnung: Sie verweigert jede Zusammenarbeit. Und Monti mit seiner eigenen Partei reißt die Bürger nicht mit, weil er sich – von „Profis“ falsch beraten – im Wahlkampf den Parteien gemein gemacht hat.

Laut Umfragen könnten die Sozialdemokraten die Wahl gewinnen; wegen der Tücken des Wahlgesetzes ist aber unsicher, ob sie eine regierungsfähige Mehrheit erhalten. Italien ist konjunkturell noch lange nicht über den Berg, politisch schon gleich gar nicht.