Bei der Aufregung rund um den Etikettenschwindel mit Pferdefleisch geht etwas der Blick dafür verloren, worin der eigentliche Kern des Skandals besteht. Ist die Verbrauchertäuschung einer französischen Firma nur die Spitze eines Eisberges, sind es die laxen EU-Vorschriften, die eine Rückverfolgbarkeit bis zur Herkunft eines Lebensmittels unmöglich machen? Handelt es sich um die undurchsichtigen Folgen der Globalisierung mit ihren komplexen Warenkreisläufen quer durch Europa? Oder besteht der wirkliche Skandal darin, dass am in Deutschland ausgeprägten Tabu des Verzehrs von Pferdefleisch gerüttelt wird? Das isst man, wenn überhaupt, nur in Kriegszeiten. Die Dauer des öffentlichen Aufsehens lässt vermuten, dass - zumindest unbewusst - Abscheu im Spiel ist. Dagegen kann kein Gesetzgeber vorgehen. Wären zusätzlich Schweine- statt Pferdefleisch-Anteile in der Tiefkühl-Lasagne gefunden worden, hätte sich wohl niemand aufgeregt. Bei aller kriminellen Energie: Durch die Untermischung von Pferdefleisch ist noch niemand zu Schaden gekommen, das ist festzuhalten. Es bleibt aber ein Restrisiko. Der wirtschaftliche Vorteil für das Unternehmen wird umso größer, je minderwertiger das verarbeitete Fleisch ist. Das Auffinden von Entzündungshemmern kann, muss aber noch kein Alarmzeichen sein. Bevor Politiker jetzt anfangen, nach schärferer Lebensmittelkontrolle zu rufen und ein hartes Durchgreifen von Polizei und Justiz zu fordern: In allen drei Bereichen werden seit Jahren Stellen abgebaut. Die Verbraucher müssen sich fragen, welche Zutaten sie in Tiefkühl-Fertiggerichten zu Kampfpreisen erwarten dürfen. Und dann, ob sie darauf notfalls auch verzichten können.