Wenn der britische Premier sich als radikaler Reformierer der Europäischen Union empfiehlt, lohnt es sich, genau hinzuschauen. Durch die britische Linse betrachtet, liegt auf dem Kontinent einiges im Argen: Der gemeinsame Binnenmarkt etwa – eine Perle, verkrustet durch den Kalk starrer Bürokratie. Wettbewerbsfähiger und turbo-flexibel soll die Staatengemeinschaft werden, die Fesseln starrer Vorschriften sprengen, den Unternehmen Freiheit schenken. Kurzum: Die EU soll am besten so werden wie Großbritannien.

In mancher Hinsicht mag das stimmen. Ein Gewerbe anzumelden, das geht auf der Insel in 20 Minuten. Wer seinen Job verliert, orientiert sich neu – und wird anderswo willkommen geheißen. Das ist die Flexibilität, die Cameron rühmt.

Das Fehlen jeder sozialen Sicherheit ist die Kehrseite. Nichts stachelt die Konservativen so auf, wie Vorstöße aus Brüssel, die Arbeitszeiten von Angestellten zu begrenzen oder Zeitarbeitern ähnliche Rechte einzuräumen wie Festangestellten. Dies sind die Direktiven, die auf der Insel bald aufgeweicht werden sollen.

Blenden lassen von der schillernden Vision eines flexiblen Europas sollte man sich also nicht, am allerwenigsten britische Angestellte: Sie haben in einem Großbritannien ohne Brüssel mehr zu verlieren als zu gewinnen. Europa hat zu Recht erkannt, dass hier ein Mitgliedsstaat Zugang zu den Pfründen eines Binnenmarktes haben will, sich aber vor den Verpflichtungen drückt.