Beim Parteitag der SPD in Hannover wurde Peer Steinbrück mit guten 93 Prozent zum Kanzlerkandidaten gewählt. Er haucht dem alten Traum der SPD von einer gerechteren Gesellschaft neues Leben ein. Ein Kommentar von Rüdiger Oppers.
Eine Kandidatenkür vermag auch die zänkischste Partei in eine Gesellschaft zur gegenseitigen Bewunderung zu verwandeln. So war es beim Königinnenfest des Kanzlerinnenwahlvereins CDU, und so war es gestern bei Peers Party. Überbewerten darf man solche Veranstaltungen nicht. Acht Minuten Jubelsturm für Angela Merkel, mehr als zehn für Steinbrück, über die wahre Chancenverteilung sagen solche Vermessungen von Stimmungen nichts aus. Für den SPD-Kanzlerkandidaten war aber das Wahlergebnis von größter Bedeutung. Seinen rumpeligen Start mit quälenden Debatten über Vortragshonorare hätte der Parteitag auch mit einem Denkzettel quittieren können. Entsprechend sichtbar erleichtert hat Peer Steinbrück die guten 93 Prozent Zustimmung der Delegierten aufgenommen.
Mit einer kämpferischen Rede hat er endlich die Herzen der Genossen gewonnen. Dass Deutschland wieder mehr „Wir“ und weniger „Ich“ braucht, ist ein packender Slogan, der den SPD-Wahlkampf prägen wird. Angesichts einer scheinbar unbeherrschbar gewordenen Marktwirtschaft, die jeden Tag mit brandneuen Krisen die Bürger verunsichert, ist der Appell an die soziale Verantwortung goldrichtig. Peer Steinbrück, sonst ein kühler Pragmatiker und keineswegs Vertreter der Parteigruppe „Rote Pumpe“, hat in seiner programmatischen Rede eine überraschende Linkskurve gewagt. Mit der Ankündigung, der „soziale Wohlfahrtsstaat“ müsse das gesellschaftliche Ziel einer SPD-geführten Bundesregierung sein, hat er eine Richtung vorgegeben, die seine Partei zur klaren Alternative macht.
Angela Merkel, die nur gefühlt „ewige Kanzlerin“ ist, tatsächlich aber bisher nur knapp Gerhard Schröder überrundet hat, darf sich auf einen klugen, ehrgeizigen Herausforderer freuen, dessen Aussichten, die „Wende“ zu packen, seit gestern wieder gestiegen sind. Peer Steinbrück versucht nicht, sie in der Mitte zu schlagen, wo sie sich häuslich eingerichtet hat, sondern er haucht dem alten Traum der SPD von einer gerechteren Gesellschaft neues Leben ein. Wie das zu bezahlen ist, wird auf Jubelparteitagen nicht gefragt. Den Wähler wird es allerdings interessieren.