Ob Ärzte, Psychologen, Geistliche die Polizei alarmieren sollen oder sogar müssen, wenn sie Fälle von Kindesmissbrauch vermuten, ist eine schwierige Frage. Eine engere Zusammenarbeit der Experten wäre jedoch wünschenswert.

Darf ein Arzt die Polizei alarmieren, wenn er in der Praxis oder beim Notfalleinsatz ein Kind mit blauen Flecken am ganzen Körper trifft? Oder mit verbrannten Fußsohlen? Wenn ein Kind auf Berührungen panisch, auf freundliche Fragen gar nicht reagiert? Oder wenn es trotz mehrfacher Einladung nicht zur Vorsorgeuntersuchung auftaucht?

Ja, dann darf ein Arzt nicht nur das Jugendamt oder die Polizei informieren – er muss es sogar ­tun, wenn es die begründete Sorge gibt, dass dem Kind weitere Gewalt droht. Das neue Kinderschutz­gesetz, erst seit neun Monaten in Kraft, eröffnet dazu neue Wege.

Die Pflicht zur Verschwiegenheit bleibt ein hohes Gut; sie gilt ja nicht nur für Ärzte, die selbst Angehörigen nur in Ausnahmefällen berichten dürfen, wie es um die Gesundheit oder die Verfassung eines Patienten steht. Auch Psychologen, Geist­lichen, Anwälten oder anderen ­„Berufsgeheimnisträgern“ verbietet das Gesetz, berufliches Wissen über einen Menschen Dritten zu verraten. Wer dagegen verstößt, kann dafür vor Gericht landen – im Ernstfall droht dafür ein Jahr Gefängnis.

Weil die strikte Schweigepflicht aber allzu oft auch die Falschen schützte, müssen nicht nur Ärzte im Ernstfall abwägen: Wäre Schweigen ein größeres Unrecht als die Meldung auffälliger Verletzungen? Die Kinder- und Jugendärzte in Deutschland haben diese Frage für sich geklärt. Ihr Anliegen ist der Schutz der Schwächsten, sagt ihr Präsident. Die immer wieder geforderte Anzeigepflicht helfe ihnen dabei nicht, weil Eltern aus Angst vor dem Staatsanwalt ein verletztes Kind ­lieber daheim verstecken könnten.

Wichtiger als der direkte Draht zur Polizei wäre den Ärzten im Zweifelsfall der enge Kontakt zu anderen Experten: zur Hebamme etwa, die Kind und Eltern näher kennt, zur Erzieherin, zum Lehrer. Dieser schnelle Austausch aber ist Ärzten bis ­heute verboten, solange die Eltern ihn nicht wollen.

Ab 2016 wollen Experten und Politiker überprüfen, ob das neue Gesetz die Kinder tatsächlich schützt. Eine engere Vernetzung der Fachleute wäre aber schon heute geboten. Dann könnte man über die Anzeigepflicht in Ruhe weiterdiskutieren.