Der NRW-Check zeigt, dass das Vertrauen der Menschen in die Kompetenz von Politik sinkt. Warum die Lage auch eine Gefahr für die Demonkratie ist.

Die Sonne scheint, der Sommer kommt, viele Menschen haben genug vom Wort Krise. Nach Corona, Inflation und im Angesicht der Klimaschutz-Debatten, des amateurhaften Gewürges der Ampelkoalition in Berlin und des schrecklichen Ukraine-Krieges ist die Sehnsucht nach Ruhe groß – und verständlich. Doch, und das ist die schlechte Nachricht, die aktuellen Zeiten sind andere.

Denn unter der Oberfläche breitet sich in Deutschland seit längerem eine politische Gefahr aus, die größer und mutmaßlich gefährlicher für die Gesellschaft ist als die real erlebbaren: die Gefahr für die Demokratie. Wer von einer Gefährdung der Demokratie oder gar von einer Staatskrise spricht, wird üblicherweise mit einem Kopfschütteln oder einem Achselzucken bedacht. Doch die Signale sind eindeutig.

NRW liegt bei der Sonntagsfrage im bundesweiten Trend

Nehmen wir den aktuellen NRW-Check. Kernaufgabe von Politik ist es, das Miteinander in der Gesellschaft zu organisieren und Probleme zu lösen. Wenn aber die Mehrheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen keiner einzigen Partei die nötige Kompetenz zuschreibt, dann ist das alarmierend. Zumal NRW hier im bundesweiten Trend liegt. Das war schon immer so? Nein, der Vertrauensverlust schreitet seit Jahren voran, erfasst mittlerweile große Teile der klassischen Mittelschicht und damit das Fundament der Gesellschaft. Hier spiegelt sich, etwas vereinfacht, auch die Wahrnehmung der unterschiedlichen Welten von „denen da oben“ und „den normalen Menschen“ wider.

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Je größer der Frust, desto größer das Ventil. Dies äußert sich in Wahlmüdigkeit, im Wahlboykott, in der Abkehr von den klassischen demokratischen Parteien. Denn diese lösen ja keine Probleme, kümmern sich nicht um die kleinen Leute, verstehen auch deren Sorgen nicht, heißt es dann. Die aktuelle Energiepolitik tragen mindestens 70 Prozent der Menschen nicht mit, rund die Hälfte hält den Ausstieg aus der Atomenergie weiterhin für falsch.

Viele sehen Migration und Flüchtlinge mittlerweile als größtes Problem an

Nun mag man argumentieren, dass Politik sich nicht an kurzfristigen Stimmungen orientieren sollte, sondern mittel- und langfristig Zukunft gestalten muss. Das ist auch richtig. Aber ohne die Menschen geht das nicht. Wenn es selbst den Regierungsparteien der Ampelkoalition in Berlin nicht gelingt, ein gemeinsames Verständnis von Zukunft zu entwickeln und vorzuleben, wieso sollten ihnen die Menschen im Land dann folgen?

Ein weiteres Beispiel: Seit Monaten warnen die Kommunen vor einer Überforderung der Städte, Gemeinden und Landkreise. Die Zahl der Geflüchteten steigt bundesweit kontinuierlich und befindet sich derzeit auf dem Niveau der Flüchtlingskrise von 2015/16. Zugleich zeigt der NRW-Check, dass Migration und Flüchtlinge mittlerweile als größtes Problem angesehen wird. Andererseits ist die Hilfsbereitschaft weiterhin groß. Ein Widerspruch? Nein. Denn im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Thema erst zum bedeutendsten Problem wurde, weil über Monate das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Parteien verloren ging.

AfD sammelt Frust der Menschen ein - hat aber keine Problemlösungen

Wobei wir in der Konsequenz bei der AfD wären. Sie bietet für kein einziges Problem eine Lösung an, sammelt zugleich aber den Frust der Menschen ein und ist laut dem Meinungsforschungsinstitut Forsa derzeit die zweitstärkste Kraft in Deutschland – vor SPD, Grünen und FDP. Wenn da die Alarmglocken nicht läuten, wann dann?

Die aktuelle Diagnose lautet leider, dass es der Politik, repräsentiert durch die Parteien des demokratischen Spektrums, schon länger nicht gelingt, ihr Handeln verständlich zu erklären, geschweige denn Probleme überzeugend zu lösen.

Der frühere Bundespräsident Roman Herzog forderte einst in einer historischen Rede, es müsse ein Ruck durch Deutschland gehen. Heute gilt das angesichts der Warnsignale umso mehr für die politischen Parteien und ihre Repräsentanten. Ansonsten wird aus dem Kampf um Mehrheiten bald der Kampf um die Demokratie.