Die Aufnahme von Flüchtlingen ist nicht nur eine humanitäre Verpflichtung. Zuwanderung ist eine Chance - wenn man es zulässt.

Ein Gedankenspiel: Sämtliche Menschen, die in den vergangenen zehn Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind und hier Arbeit gefunden haben, gehen für einen Monat in den Streik. Die Folgen für den Verkehrssektor, die Gastronomie, die Reinigungsbranche und andere Wirtschaftszweige wären dramatisch. Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, helfen jetzt dabei, das Land am Laufen zu halten. Das sollten all jene im Hinterkopf haben, die in Flüchtlingen vor allem Probleme sehen.

Richtig ist: Die aktuell steigenden Zahlen von Menschen, die aus Afghanistan, dem Irak, Syrien oder aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, stellen insbesondere die Kommunen vor enorme Herausforderungen. Richtig ist auch: Die Integration so vieler Menschen läuft nicht immer reibungslos und bedarf immer wieder der Nachjustierung. Wie in jeder Bevölkerungsgruppe gibt es auch unter denen, die neu in Deutschland sind, Menschen, die kriminell sind oder sich gesellschaftlichen Normen nicht anpassen wollen. Das sind meistens die, die Schlagzeilen machen. Diejenigen, die sich geräuschlos in dem Land integrieren, das sie aufgenommen hat, verursachen keine aufgeregten Debatten.

Die Aufnahme von Flüchtlingen ist nicht nur eine humanitäre Verpflichtung (insbesondere dann, wenn Fluchtursachen nur halbherzig bekämpft werden). Zuwanderung ist eine Chance für ein Deutschland, in dem die Geburtenrate niedrig, die Alterspyramide deformiert und der Mangel an Fachkräften groß ist. Kluge Politik hieße, eben jene zu fördern, die sich einbringen wollen, und die bürokratischen Hemmnisse zu entfernen, die ihnen die Zugänge auf den Arbeitsmarkt versperren. Mit dem sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht, das seit Anfang des Jahres bislang lediglich geduldeten Zuwanderern die Möglichkeit eines dauerhaften Aufenthaltstitels ermöglicht, ist ein Anfang gemacht.