Jenseits der Ukraine verdrängen die Menschen den Krieg. Doch er darf nichts Selbstverständliches werden.
Charkiw ist die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Im März gab es hier heftige Artilleriegefechte. Ausgebrannte Wohnblocks im Stadtteil Saltivka zeugen von der brutalen Intensität des Beschusses. Über einen Spielplatz am Rande der Siedlung wächst das Gras. Noch immer ist Geschützdonner aus der Ferne zu hören, mal leise grummelnd, mal bösartig laut. Die Menschen in Charkiw versuchen ein normales Leben aufrecht zu erhalten. Busse fahren, manche Geschäfte, Restaurants, Cafés und Hotels sind geöffnet. Am frühen Freitagmorgen sind jedoch wieder zwei Geschosse eingeschlagen, knapp einen Kilometer entfernt von dem Hotel, in dem wir übernachten.
Es gibt keine Normalität in diesem Krieg, der eine Tagesreise mit dem Auto entfernt von Deutschland tobt. Jenseits der Ukraine jedoch verdrängen die Menschen den Krieg, sie sorgen sich um die explodierenden Energiepreise oder ihren Urlaub, weil bei der Lufthansa gestreikt wird. Andere Themen beherrschen die Schlagzeilen. Deutschland diskutiert über Layla.
All das ist nachvollziehbar. Es ist anstrengend, vielleicht auch ermüdend, jeden Tag mit dem Leid anderer Menschen konfrontiert zu werden. Jedoch ist es wichtig, dass dieser Krieg in Deutschland nicht einfach nur noch hingenommen oder gar vergessen wird. Krieg darf nichts Selbstverständliches werden.
Begegnungen fallen nicht leicht
Deswegen fahren wir weiter in die Ukraine, treffen uns dort mit Menschen, die in dem Wahnsinn leben müssen, den Putin über ihr Land gebracht hat, und erzählen ihre Geschichten. Es sind Begegnungen, die uns Reportern nicht leicht fallen, weil wir oft mit der vollen Wucht von Emotionen konfrontiert werden. Trauer, Angst, Wut.
Vor einem Monat waren wir im Süden der Ukraine unterwegs und haben Mykolajiw besucht, eine Stadt nahe der Front. Auch dort sahen wir Menschen in Parks flanieren oder in Restaurants sitzen. Am Freitag ist dort eine russische Rakete neben einer Bushaltestelle eingeschlagen. Fünf Menschen starben. Es gibt keine Normalität in diesem Krieg.