Erstmals ist im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche ein Gutachten veröffentlicht worden, das wirklich weh tut. Die beauftragte Anwaltskanzlei nennt nicht nur anonyme Zahlen von Tätern und Opfern, erschreckend viele, sie nennt auch die Namen von Verantwortlichen. Zum Beispiel Altpapst Benedikt in seiner Eigenschaft als Kardinal Ratzinger. Die Gutachter betonen, dass die Einlassungen des greisen Altpapstes im Falle des Mehrfachintensivtäters H. aus dem Bistum Essen nicht mit der Aktenlage übereinstimmen. Im Klartext: Papst Benedikt lügt. Die Feststellung ist so begründet, dass auch kritische Katholiken Schnappatmung kriegen.
Schonungslos fokussiert das über 1500 Seiten starke Gutachten, das in zähen Konflikten mit der Bistumsleitung um die Herausgabe von Akten entstanden sein soll, das Prinzip, welches die Vielzahl der Fälle erst möglich gemacht hat: Die Opfer und ihr Leid haben im Erzbistum München keinen interessiert, auch nicht Kardinal Marx. Es ging immer nur darum, die Institution zu schützen.
Nachdem in München nun die brisanteste Missbrauchsstudie eines deutschen Bistums im Internet einsehbar ist, stellt sich die Frage, wann im Erzbistum Paderborn der Deckel vom Kessel fliegt. Dort arbeiten derzeit zwei Historikerinnen die Fälle auf. Bei Namen von Tätern mauert Paderborn eisern, und auch die Betroffenen schweigen, aus Scham, aber vielleicht auch aus Angst, ihre Entschädigungszahlung zu verwirken.
Es gibt keine heile Welt mehr im katholischen Kosmos, nirgends. Es sind ja nicht nur die Sexualstraftäter. Bis zu zehn Prozent aller Priester sind alkoholsüchtig. Viele gehen an ihrer Einsamkeit psychisch zugrunde. Das System funktioniert nicht mehr. Der Preis für diese Einsicht hoch. Die Opfer der Missbrauchspriester müssen ihn lebenslänglich zahlen.