Die CDU verliert, die SPD gewinnt – und schaut am Ende vielleicht doch noch in die Röhre. Was hieße das für den Wählerwillen? Der Leitartikel.

Man kann so manches lernen aus dieser Bundestagswahl. Wiederauferstehung ist in der Politik möglich. Die SPD war vor Monaten abgeschrieben, dümpelte bei 15 Prozent Zustimmung in den Umfragen. Nun steht der sozialdemokratische Spitzenkandidat Olaf Scholz vor einer Kanzlerschaft. Möglicherweise. Noch etwas anderes lässt sich ableiten. Die Wählerinnen und Wähler schwanken zwischen der Sehnsucht nach einem grundlegenden Wandel in der Politik und dem Wunsch nach Beständigkeit. Trotz der enormen Verluste der CDU reicht das Ergebnis für den Versuch, die Kanzlerschaft anzustreben. Zur Not auch von Platz zwei.

Dreier-Koalition wird regieren

Die Grünen können sich trotz des deutlichen Zugewinns nicht richtig freuen. Dennoch werden sie gemeinsam mit der FDP und Spitzenkandidat Christian Lindner zum Joker. Eine Dreier-Koalition wird künftig das Land regieren. Nur welche?

Die SPD hat gezeigt, was möglich ist, wenn sich eine Partei frühzeitig geschlossen hinter ihrem Spitzenkandidaten versammelt. Von den Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans war über lange Zeit hinweg nichts zu sehen und zu hören. Olaf Scholz konnte sich uneingeschränkt – und mit einer langen Vorlaufzeit – auf seine Rolle konzentrieren. Mehr Sport und ein neuer modischer Style gehörten zu diesem neuen Auftritt dazu. Vor allem aber war es die enorme politische Erfahrung verbunden mit einem souveränen staatsmännischen Auftreten, mit der der Sozialdemokrat punktete. Scholz machte praktisch keine Fehler.

Störfeuer aus eigenen Reihen

Für Armin Laschet lief es vollkommen anders. In einem knappen Rennen rang der nordrhein-westfälische Ministerpräsident zunächst Friedrich Merz im Kampf um den Parteivorsitz nieder. Danach folgte in der Auseinandersetzung um die Kanzlerkandidatur das Duell mit dem Bayern Markus Söder. Auch diese Entscheidung fiel denkbar knapp aus. Die Lager blieben gespalten, Laschet mühte sich ab gegen Störfeuer aus den eigenen Reihen, trat in so manches Fettnäpfchen. Erst als der Karren vollständig gegen die Wand zu fahren drohte, schlossen sich die Reihen der Union. Nun warb auch Angela Merkel für ihn.

An einem aber ändert dies nichts: Der CDU-Spitzenkandidat war mit seinen Themen nicht erkennbar genug. Die Option, an der Regierung zu bleiben, hilft Laschet nun immerhin ganz persönlich. Die durchaus drohende Revolte gegen ihn war am Abend vom Tisch. Die Angst vor der Opposition sorgt für ein Stillhalten. Zunächst. Dennoch war es ein Zeichen, dass Friedrich Merz als bedeutendes Mitglied in Laschets Schattenkabinett am Wahlsonntag nicht in die Hauptstadt fuhr, sondern lieber daheim inArnsbergblieb.

Die Linken haben von den Wählerinnen und Wählern eine rote Karte bekommen. Sogar der Einzug in den Bundestag stand am Abend auf der Kippe. Statt über das Thema soziale Gerechtigkeit zu punkten, hat sich Spitzenkandidatin Janine Wissler viel zu sehr für die Auflösung des Verfassungsschutzes eingesetzt. Das schreckt ab. Das andere politische Extrem, die AfD, verlor ebenfalls. Diese Ergebnisse lassen sich so interpretieren: Die Bürgerinnen und Bürger vertrauen jenen, die nicht nur einfach dagegen sind, sondern Antworten auf wesentliche politische Fragen anbieten.

Ampel oder Jamaika?

So läuft es entweder auf eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP oder auf eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP hinaus. Wer glaubt, dass die Nähe der Grünen zur SPD gleichsam gesetzt ist, sollte sich nicht täuschen. Die Taktik-Spielchen haben bereits begonnen. Die Grünen und die FDP beginnen schon damit, sich alle Möglichkeiten offen zu halten. Am Ende wird es darauf ankommen, mit welchem Partner mehr Themen und damit auch mehr Ämter und Positionen durchgesetzt werden können. Das hat Robert Habeck als Co-Bundesvorsitzender der Grünen schnell klar gemacht.

Die entscheidende Rolle kommt der FDP und Christian Lindner zu. Die Liberalen – erneut zweistellig – werden das Zünglein an der Waage in einer neuen Regierung sein. Nach dem monatelangen Gezerre bei der vergangenen Bundestagswahl musste am Ende der Bundespräsident eingreifen. Das möchte jetzt keiner der Akteure. Voraussetzung für eine schnelle Regierungsbildung ist eine Einigung zwischen Grünen und FDP. Sie bestimmen den neuen Kanzler.

Muss die SPD in die Röhe gucken

Klar ist, dass die Liberalen dieses Mal unbedingt mitregieren möchten. Lindners Tendenz, mit der CDU zusammenzugehen, ist unverkennbar. So ist nicht ausgeschlossen, dass die SPD am Ende doch noch in die Röhre guckt und die CDU trotz des historischen Verlustes den Kanzler stellt. Ob das dann dem Wunsch der Wählerinnen und Wähler entspräche, scheint zumindest fraglich. Der Machtpoker hat begonnen.