Thyssenkrupp-Chefin Merz beschwört den Umbau des Konzerns. Die Beschäftigten kennen das seit vielen Jahren – und wurden bisher immer enttäuscht.
Thyssenkrupp muss sich neu erfinden – dieser Satz gilt spätestens seit dem Amtsantritt von Heinrich Hiesinger 2011. Doch der Erfindergeist kommt nicht aus der Kiste. Heinrich Hiesinger hat viel vom Wandel des Traditionsunternehmens zum Hightech-Konzern geredet, aber wenig erreicht. Guido Kerkhoff wurde sein Nachfolger, weil er eine schlüssig klingende Strategie zur Teilung des Konzerns vorlegte, die sich Monate später in Luft auflöste. Martina Merz übernahm – und predigt seitdem, dass der Konzern dringend umgebaut gehört. Damit liegt sie auch richtig, doch nach einem Jahrzehnt des versuchten Umbaus stellt sich die Frage: Wie lange kann ein Unternehmen an seiner Zeitenwende stehen bleiben?
Merz reklamierte auf der Hauptversammlung nun für sich, „mächtig Tempo“ zu machen. Tatsächlich hat sie in ihren anderthalb Jahren als Konzernchefin mehr verschoben und angestoßen als ihre Vorgänger. Sie hat die Aufzugssparte verkauft, ihre einzige Gewinngarantin, um den kriselnden Rest zu retten. Sie hat Geschäfte, deren Zukunft sie nicht mehr bei Thyssenkrupp sieht, in „Multi-Tracks“ ausgegliedert, was viel besser klingt als „Bad Bank“. Sie ist drauf und dran, den Stahl zu verkaufen, ebenso den Anlagenbau.
Wirklich groß bliebe nur noch der Name Thyssenkrupp
Merz will die verbleibenden Hoffnungsträger stärken, etwa die Automotive-Sparte sowie Komponenten für die Wasserstoffwirtschaft und Windkraft. Gleichzeitig will sie die einzelnen Geschäfte von der Leine lassen. Was von Thyssenkrupp übrig bliebe, wären weitgehend eigenständige Unternehmen. Wirklich groß ist dann nur noch der Name, der sie verbindet. Unterm Strich der Merz-Bilanz steht schließlich auch der Abbau von 11.000 Arbeitsplätzen, die nächste Schrumpfkur.
Ob Merz’ Weg den wankenden Industrieriesen endlich stabilisiert, ist nicht ausgemacht. Die Corona-Krise frisst Milliarde für Milliarde auf – und damit den Spielraum für Investitionen in modernere Anlagen. Dafür kann niemand etwas. Trotzdem erwarten die Beschäftigten zu Recht eine Antwort auf ihre Frage, ob noch genug Geld für die dringend benötigte Modernisierung ihrer Anlagen da ist.
Hoffnung auf Besserung zu oft enttäuscht
Nicht zu unterschätzen ist auch das Arbeitsklima in den Thyssenkrupp-Werken und -Büros. In einem Konzern, der sich von einer zur nächsten Existenzkrise hangelt, arbeitet es sich schwerer als anderswo. Die Hoffnung der Beschäftigten auf Besserung durch das nächste Sparprogramm wurde schon zu oft enttäuscht. Wie fast immer sind die Sorgen im Stahl am größten. Dass sie endlich wissen wollen, wie und unter welchem Dach es mit ihnen weiter geht, fordern die Stahlkocher ebenfalls seit vielen Jahren.
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Dabei gibt es mit dem grünen Stahl, der in Duisburg produziert werden soll, endlich ein lohnendes Ziel. Der Umstieg von Kohle auf Wasserstoff ist eine echte Chance für den Stahl, sich wieder einen Technologievorsprung zu erkämpfen. Aber Thyssenkrupp ist wahrlich nicht der einzige Konzern im Wettlauf um grünen Stahl. Die in Deutschland aufgesetzte nationale Wasserstoffstrategie kann dabei helfen. Doch wer alles auf diese Karte setzt, muss am Ende auch zum Zug kommen. Scheitern verboten.
Stahl als Problemkind und Hoffnungsträger
Und wenn die Stahlstadt in Duisburg es wirklich schafft, also grün und damit wieder erfolgreich wird, ist es gut möglich, dass der Mutterkonzern Thyssenkrupp davon nichts mehr hat. Den Stahl zugleich als Problemkind und Hoffnungsträger zu beschreiben, kann Merz auf die Füße fallen, wenn die möglichen Erfolge andere einstreichen.