Die internationale Hilfe, die jetzt ins Land fließt, darf nicht die Taschen der Reichen und Mächtigen noch praller füllen.
Aus aller Welt trifft Hilfe im Libanon ein, auch vom Niederrhein und aus dem Ruhrgebiet. Die Bilder aus Beirut schockieren, das Ausmaß der Verwüstung der Mega-Explosion am Dienstag ist erschütternd. Sie hat ein Land getroffen, das über kaum noch über Widerstandsfähigkeit verfügt, dessen Wirtschaft am Boden liegt.
Wie so viele andere Staaten im Nahen Osten leidet der Libanon seit jeher an vielen Krankheiten, angefangen von den künstlichen Grenzziehungen, mit denen sich westliche Kolonialmächte anmaßten, die Region nach ihrem Gusto zu ordnen.
Das seit der Unabhängigkeit im Jahr 1943 geltende religiöse Proporzsystem begünstigt – ähnlich wie jenes, das nach 2003 im Irak eingeführt wurde – die schamlose Bereicherung der Eliten, Nepotismus und Korruption. Ausländische Mächte führen diese Eliten am Gängelband, im Libanon sind es die frühere Kolonialmacht Frankreich, die sunnitischen Golfstaaten oder der schiitische Iran.
Den Eliten ist das Schicksal des Volkes egal. Das zeigt die Katastrophe vom Dienstag wie unter einem Brennglas. Die jahrelange unsachgemäße Lagerung von Tausenden Tonnen hochexplosiven Materials inmitten einer Großstadt ist Zeugnis einer nahezu verbrecherischen Gleichgültigkeit gegenüber den Sicherheitsinteressen der Bürger. Dass die vom Iran finanzierte, hochgerüstete und gesteuerte Schiiten-Miliz Hisbollah ein israelisches Hilfsangebot ablehnt, spricht weitere Bände.
Der Libanon hat allerdings bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Strukturen. Das haben die konfessionsübergreifenden Proteste gegen die Banken und die Regierung vor der Corona-Krise und die rasche, professionelle Selbstorganisation der Menschen nach der Explosionskatastrophe bewiesen. Auf diese Strukturen gilt es aufzubauen.
Die internationale Hilfe, die jetzt ins Land fließt, darf nicht die Taschen der Reichen und Mächtigen noch praller füllen. Sie muss dazu dienen, den so leidgeprüften Menschen in dem Land, das einst als „Schweiz des Orients“ galt, auch politisch eine sichere und stabile Zukunft in Freiheit und Würde zu ermöglichen.