Die neue Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz stellt ihre erste tiefrote Bilanz vor. Ihre Analyse zur Lage des Konzerns gerät zum Scherbengericht.

Thyssenkrupp verliert Geld und Arbeitsplätze. Die erste Bilanz der neuen Konzernchefin Martina Merz ist bitter für die Firma wie für ihre Beschäftigten – und der Ausblick für das laufende Geschäftsjahr nicht besser. Merz will den Dax-Absteiger auf links drehen, Geschäfte verkaufen, verheiraten, schließen oder hart sanieren. Als hätten die 160.000 Mitarbeiter nicht schon ein knappes Jahrzehnt des Sparens, Streichens und Umbauens hinter sich. Mit Merz werden noch einige hinzukommen.

Doch so leid die Mitarbeiter das auch sein mögen – es ist höchste Zeit für ein beherzteres Management. Die erste Chefin in der Geschichte von Thyssenkrupp macht der Industrie-Ikone mächtig Dampf. Martina Merz spricht für hiesige Breitengrade den falschen Akzent, für den angeschlagenen Konzern aber die richtige Sprache. Ihre erste öffentliche Rede als Vorstandsvorsitzende gerät zum seriös vorgetragenen, in den Zwischentönen aber kaum härter zu formulierenden Scherbengericht.

Mangelnde Konsequenz und unerreichbare Ziele

Die vorherigen Führungsriegen im Konzern und seinen Sparten, von denen sie niemanden beim Namen nennt, haben demnach Ziele gesetzt, die nicht erreichbar waren. Haben die Firma von oben herab geführt und damit alle weiteren Führungsebenen und deren Mannschaften eingeengt und geschwächt. Haben sich nicht auf das Machbare fokussiert, zu zaghaft reagiert, es an Konsequenz beim Umbau, gar an Ernsthaftigkeit vermissen lassen und damit wertvolle Zeit verschwendet. Die Analyse der Maschinenbau-Ingenieurin gleicht einer technisch minutiösen Beschreibung eines Motor-Totalschadens – vom vergessenen Schmierstoff über die lässliche Wartung bis zum Platzen.

Dass eine derart ehrliche Bestandsaufnahme überfällig war, ist im Essener Quartier seit Monaten spür- und hörbar. Hinter vorgehaltener Hand wird die bereits chronische Führungsschwäche aus vielen Richtungen schon lange beklagt. Die Herren haben es schleifen lassen, sich „durchgewurschtelt“, wie Martina Merz es formuliert. Damit soll jetzt Schluss sein.

Merz setzt sich selbst unter enormen Druck

Merz weckt mit ihrer offensiven Art hohe Erwartungen an sich selbst und ihren neu formierten Vorstand. Jeden Stein umdrehen wollte ihr Vorgänger Guido Kerkhoff auch, dafür haben seine acht Jahre als Finanzchef und Vorstandsvorsitzender nicht ausgereicht. Das lässt sich von außen schnell mit Führungsschwäche erklären – von innen aber auch mit den über Jahrzehnte gewachsenen Beharrungskräften und Widerständen gegen allzu radikale Veränderungen.

Die Baustellen sind klar: Der Konzern braucht frisches Kapital durch den Börsengang der Aufzugsparte, Partner für die schwächelnden Geschäfte mit Autoteilen und Fabrikanlagen, neue Perspektiven für die Marine und eine Sanierung des neuen, alten Kerngeschäfts Stahl. So hat es auch Kerkhoff benannt, Merz steuert den Konzern also nicht erneut in eine völlig andere Richtung. Ihr Credo lautet, jeden einzelnen Bereich so nah wie möglich an die Weltspitze zu führen - oder beim Scheitern dieses Versuchs rasch zu verkaufen oder zu verpartnern.

Der Führungsmodus als Interimschefin ist nicht ideal

An diesen hohen Zielen wird sie gemessen werden, was bei einer Vorstandschefin auf Zeit allerdings schwierig ist. Dieser Prozess werde zwei, drei Jahre dauern, sagt sie selbst. Ihn nur anzustoßen, würde die Gefahr der nächsten Phase des Durchwurschtelns mit sich bringen. Die Führungsfrage wird mit jedem Monat, den Merz’ Interimsamt sich seinem Ende nähert, lauter gestellt werden. Der Aufsichtsrat täte gut daran, sie möglichst früh zu beantworten.