In Krisensituationen freuen sich Katholiken über den Pfarrer. Doch der hat Besseres zu tun.
Als guter Katholik stirbt man besser nicht zwischen Samstagfrüh und Montagabend. Denn sonst bringt man die Kirchenbürokratie in Verdruss, und das möchte ja niemand. Die Familie, von der hier erzählt wird, verliert die Mutter. Der erste Anruf des Sohnes gilt dem ärztlichen Notdienst, das zweite Telefonat geht zum Pastor, von dem man sogar eine Handynummer gespeichert hat. Im Verlauf dieses traurigen Tages wird man dem Priester noch mehrfach auf die Mailbox sprechen. Dem Ehemann, nun Witwer, würden einige Worte aus geweihtem Mund sehr helfen. Um es kurz zu machen: Pastor hat bis heute nicht zurückgerufen oder sich gar blicken lassen. Das kann er auch nicht, werden Sie jetzt sagen. Schließlich betreut er neun Gemeinden und liest die Messen im Akkord. Und montags hat er frei. Das Pfarramt der aus neun Kirchspielen wegen Priestermangels zusammengestoppelten Großkirchengemeinde befindet sich nicht vor Ort und verfügt nicht über eine Notfallnummer. Also sitzen die Trauernden mit dem Bestatter um den Tisch und planen die Beerdigung ins Blaue hinein. Aus der Erfahrung mit anderen Trauerfällen weiß man, dass es sinnvoll ist, sich selbst zu kümmern. Also wird der Küster angerufen, ob er Zeit hat. Der Küster ist der Schulfreund des Sohnes, das hilft. Auch für die weitere Organisation greift man auf persönliche Kontakte zurück. Ein Spielkamerad des Witwers ist Priester und kann das Seelenamt halten. Andernfalls würde es auf einen Wortgottesdienst hinauslaufen. Den Messdienern telefoniert man in der Dorfgemeinschaft hinterher. Der Organist ist ein Vetter der Verstorbenen. Und dann muss noch der Vorbeter für die Totenwache angefragt werden. Über Verwandtschaft und Nachbarschaft funktioniert die Gesellschaft in Drittweltländern ohne Strukturen, so habe ich bisher immer gedacht. Aber hallo, herzlich willkommen im katholischen Deutschland 2019! Wir reden hier übrigens nicht von Weihnachtschristen, sondern von tief gläubigen Leuten.
Die Krise der katholischen Kirche reicht offenbar viel tiefer, als Missbrauchsskandal und männerzentriertes Weltbild es nahelegen. Den Katholiken geht die Seelsorge verloren. Wann braucht man denn wohl geistlichen Beistand am nötigsten? In Krisensituationen! Wenn eine Ehe zerbricht. Wenn ein Angehöriger stirbt. Wenn die Welt aus den Angeln fliegt. Und dann versagt die Amtskirche komplett, weil die Pfarrer wichtigere Aufgaben zu erfüllen haben? Wenn der Anlass nicht so traurig wäre, möchte man mal böse werden.