Der US-Abzug aus Syrien ist ein Triumph für Assad, den Iran, Russland, die Türkei und den IS. Für die syrischen Kurden ist er eine Katastrophe.
In den vergangenen Wochen tobten im Südosten Syriens erbitterte Kämpfe. Die Demokratischen Streitkräfte Syriens (SDF) gingen gegen die letzte Hochburg des sogenannten Islamischen Staates (IS) vor, die Kleinstadt Hadschin, in der sich viele hochrangige Kader der Terrortruppe verschanzt hatten.
Unterstützt wurden die SDF am Boden durch amerikanische, britische und französische Spezialtruppen und durch Luftangriffe der US-geführten Koalition. Jetzt ist Hadschin befreit, der IS beherrscht nur noch territoriale Sprengsel.
Kaum war die blutige Schlacht um Hadschin beendet,verkündete US-Präsident Donald Trump den Rückzug der US-amerikanischen Soldaten aus Syrien, gegen den Rat seiner Militärs und seiner engsten Berater.
Truppenabzug ist ein Triumph für den IS
Diese Entscheidung Trumps ist ein Triumph für den Iran, Russland, die Türkei, das Assad-Regime, den IS – und eine Katastrophe für die syrischen Kurden.
Der IS ist, anders als es Trump glaubt, noch lange nicht besiegt. Das Terror-Kalifat mag zerfallen sein. Aber der IS reorganisiert sich. Die Zahl seiner verbliebenen Kämpfer in Syrien und im Irak wird auf 30.000 beziffert. Im Irak führen sie bereits einen Guerilla-Krieg und terrorisieren die Menschen im Norden des Landes.
Der amerikanische Rückzug aus Syrien verschafft den IS-Fanatikern auch dort die Möglichkeit, sich neu aufzustellen. Damit wächst die Gefahr von Anschlägen in Europa.
Bei der Neuordnung des kriegszerstörten Landes werden die Amerikaner nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, der Iran kann seinen Einfluss stabilisieren und weiter ausbauen. Die Bedrohung für Israel wird zunehmen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kann seinen Feldzug gegen die kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen in Nordsyrien durchführen, wie er es vor wenigen Tagen angekündigt hat, ohne amerikanischen Truppen ins Gehege zu kommen, die dort derzeit noch stationiert sind.
Das Gebiet in Nordsyrien wird von der kurdischen Miliz YPG kontrolliert, die vom türkischen Regime wegen ihrer ideologischen Nähe zur kurdischen Arbeiterpartei PKK als Terror-Organisation eingestuft wird.
Die YPG war aber in den vergangenen Jahren der engste und effizienteste Partner des Westens im Kampf gegen den IS, sie ist das militärische Rückgrat der Demokratischen Streitkräfte Syriens. Tausende kurdische Kämpferinnen und Kämpfer sind in Rakka, Manbidsch, Hasaka, Kobane oder Hadschin gefallen.
Jetzt müssen die Kurden davon ausgehen, dass sie die Türkei, der Nato-Verbündete der USA, in Grund und Boden bombt. Sie haben in Nordsyrien ein säkulares, vergleichsweise demokratisches System aufgebaut, in der Region wird die Gleichberechtigung der Geschlechter vorangebracht, es herrscht Religionsfreiheit. Die Rechte von Minderheiten werden geschützt.
Eine Geschichte des Verrats
Es droht die Gefahr, dass die Türkei dort ein unterdrückerisches Besatzungsregime aufbaut, wie sie es schon in Afrin im Nordwesten Syriens getan hat, dem kurdischen Kanton, den die türkische Armee gemeinsam mit islamistischen Milizen Anfang des Jahres überfiel.
Im Zuge eines türkischen Angriffs könnten auch die 2700 ausländischen IS-Anhänger freikommen, die in kurdischem Gewahrsam sind. Die YPG wird keine Kräfte zur Bewachung dieser Extremisten abstellen, wenn es darum geht, die Heimat zu verteidigen.
Die Kurden sind in ihrer Geschichte immer wieder verraten und im Stich gelassen worden. Die Kaltblütigkeit, mit der Trump seine Partner fallen lässt, sucht aber ihresgleichen.
Die Kurden werden sich nun zwangsläufig enger an das Regime in Damaskus anbinden müssen, um eine Überlebenschance zu haben. Es ist die Wahl zwischen Tyrannei und Auslöschung.
Die restlichen Länder der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft dürfen nicht schweigen, wenn es zu einem türkischen Angriff kommen sollte, nicht wie es beim Krieg gegen Afrin war, als sie sich feige wegduckten. Es geht in Syrien auch um die Glaubwürdigkeit des Westens.