Der Nationalismus in Europa erstarkt. Dabei können wir nur gemeinsam Frieden und Demokratie bewahren. Europa darf uns nicht egal sein.

Noch vor einigen Jahren erzählten in vielen Haushalten Oma oder Opa den Kindern und Enkeln vom 2. Weltkrieg. Meist ging es um die Schrecken, um Tod und Not. Doch 73 Jahre nach Ende der Nazi-Tyrannei können immer weniger Menschen davon berichten.

Chefredakteur Manfred Lachniet
Chefredakteur Manfred Lachniet

Heute ist es für junge Menschen unvorstellbar, dass deutsche Soldaten Niederländer, Polen oder Franzosen überfallen. Für sie ist es normal, frei durch die Länder zu reisen, Freunde überall zu haben. Und darum können sie die zwei mahnenden Wörter der Großeltern – „Nie wieder“ – kaum begreifen.

Dabei war genau jene Erfahrung von Diktatur, Menschenverachtung und Krieg die Basis für den europäischen Einigungsgedanken. Doch darüber spricht derzeit kaum jemand.

Europas Geschichte im Zeitraffer

1946

„Es gibt ein Heilmittel, das […] innerhalb weniger Jahre ganz Europa […] frei und glücklich machen könnte. Dieses Mittel besteht in der Erneuerung der europäischen Familie, oder doch eines möglichst großen Teils davon. […] Wir müssen eine Art Vereinigter Staaten von Europa errichten.“ Winston Churchill in seiner berühmten „Rede an die akademische Jugend“ in Zürich. Er spricht sich den Europarat aus, der auch 1949 als erster lockerer Zusammenschluss zehn europäischer Staaten startet. Der Rat wirkt bis heute als Hüter der demokratischen Sicherheit mit heute 47 Mitgliedsstaaten

1951

Mit Unterzeichnung der Pariser Verträge gründen Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion). Die Montanindustrie der Mitgliedstaaten soll ohne Zölle gemeinsam kontrolliert werden, das Ruhrgebiet bekam so eine Chance zu wachsen. Der Plan geht zurück auf Robert Schumann.

1957

Mit den Römischen Verträgen entsteht die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und damit der Gemeinsame Markt. Elf Jahre später tritt die Zollunion in Kraft, nachdem die letzten Binnenzölle abgeschafften und ein gemeinsamer Außenzolltarif bestimmt worden sind. Mit dem Römischen Verträgen wird auch die Europäische Atomgemeinschaft gegründet. Aus ihnen und der Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl entstehen 1965 die Europäischen Gemeinschaften (EG).

1979:

Erstmals können Bürger das Europäische Parlament direkt wählen.

1981

Süderweiterung: Griechenland tritt nur sieben Jahre nach Ende der Militärdiktatur der EU bei. Fünf Jahre darauf folgen Portugal und Spanien.

1987

Erasmus („EuRopean Community Action Scheme for the Mobility of University Students“ wird mit damals elf Mitgliedsländern gegründet. Von 1987 bis 2014 sind rund 4.400.000 Studierende aus Europa unterstützt worden. 33 Länder auch außerhalb der EU sind inzwischen beteiligt.

1992

Mit dem Vertrag von Maastricht wird die Europäische Union faktisch gegründet. Alle Bürger der Mitgliedsstaaten sind damit auch Bürger der Union mit entsprechenden Rechten. Die EU-Staaten beschließen, in der Außen- und Sicherheitspolitik zusammenzuarbeiten. Sie legen die Grundlage für die Währungsunion und damit den Euro. Von den EU-Staaten haben derzeit Tschechien, Ungarn, Polen, Dänemark, Schweden, Bulgarien, Kroatien, Rumänien und GB nicht den Euro. Fünf Jahre später werden im Vertrag von Amsterdam die Mitbestimmungsrechte des EU-Parlaments gestärkt.

1993

Der Binnenmarkt ist vollendet. Damit gilt ein freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital. Zwei Jahre später können Reisende im Schengen-Raum Grenzen ohne Passkontrollen überqueren.

1995

Österreich, Finnland und Schweden treten der EU bei.

1998

Eine Reihe Europäischer Behörden gehen an den Start, darunter Europol als europäisches Polizeiamt und die EZB als Währungsbehörde, die bis heute die Geld- und Währungspolitik in der EU steuert. Zwei Jahre später soll der Vertrag von Nizza die Voraussetzungen für die Erweiterung der Europäischen Union schaffen. Strukturen aller Gremien der EU werden reformiert.

2002

Am 1. Januar wird der Euro eingeführt. In 19 der aktuell 28 Mitgliedsstaaten Euros wird inzwischen mit dem Euro gezahlt. „Die Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist die tiefgreifendste Veränderung auf unserem europäischen Kontinent seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums." Helmut Kohl bei der Bundestagsdebatte zur Einführung des Euro.

2004

Die Osterweiterung: Zehn Staaten treten der EU bei. 2007 folgen Bulgarien und Rumänien, 2013 Kroatien.

2009

Mit dem unterzeichneten Vertrag von Lissabon soll die EU effizienter arbeiten. Unter anderem wird das EU-Parlament auf 751 Sitze begrenzt. Die Charta der Grundrechte der EU wird rechtsverbindlich, in der sich die Staaten erstmals auf gemeinsame Werte verständigt haben.

2012

Die EU erhält den Friedensnobelpreis

2016

Die Bürger von Großbritannien entscheiden sich zum Austritt. In Europa erstarken rechtsnationale Parteien, die Flüchtlingszuwanderung belastet die europäische Zusammenarbeit.

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Europa darf uns nicht egal sein

Stattdessen wird mehr gezankt in Europa, die Solidarität schwindet. Kein Wunder, dass der Nationalismus wieder erstarkt. Es ist jener Ungeist, der Gewalt und Elend hervorbringt. Warum lernt man nicht aus der Geschichte?

Es war sicher falsch, die Staatengemeinschaft vor allem wirtschaftlich zu begründen: Zollfreiheit, keine Visa, der Euro. All das sind Errungenschaften. Doch es ist brandgefährlich, wenn darüber die Idee von Europa untergeht: dass wir nur gemeinsam den Frieden und die Demokratie bewahren können. Dazu gehört natürlich auch Kritik, Schlechtes gehört abgestellt und verbessert.

Wenn wir als Redaktionen verschiedener Regionalzeitungen heute betonen, dass in 200 Tagen Europawahl ist, dann soll das ein Signal sein: Dass wir als Journalisten – trotz unterschiedlicher Meinungen – darin einig sind, dass uns Europa nicht egal sein darf. „Nie wieder“ muss unser aller Auftrag sein.

Europa ist für mich...

"Europa ist für mich wichtig! Ob beruflich, politisch oder privat: Es geht um Sicherheit für die Zukunft."Lisa Riemel, 22, Auszubildende zur Industriemechanikerin in Gelsenkirchen
"Europa ist für mich unentbehrlich, aus Gründen des Zusammenlebens. Die Währungsunion ist für mich ein großer Bestandteil davon.“Ralf Becker (65), Buchhändler aus Bottrop
„Europa ist für mich Reisen ohne Grenzen. Hier fühle ich mich wohl und sicher. Die Ideen von Menschen- und Bürgerrechten finden bei uns in Europa Umsetzung.“Jessica Steiger (26), Deutsche Meisterin und Schwimmtalent des VFL Gladbeck
„Europa ist für mich Reisen ohne Grenzen. Hier fühle ich mich wohl und sicher. Die Ideen von Menschen- und Bürgerrechten finden bei uns in Europa Umsetzung.“Jessica Steiger (26), Deutsche Meisterin und Schwimmtalent des VFL Gladbeck
"Europa ist für mich der Zusammenhalt von Nationen auf dem europäischen Kontinent. Wir stehen alle miteinander in der Pflicht, gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Denn es geht darum, Krieg zu vermeiden und Frieden zu wahren. Es sollte uns allen bewusst sein, dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben, es aber auch Regeln für ein Miteinander gibt.“Anneliese Rother (67), Rentnerin aus Herne
"Europa ist für mich die Zukunft. Ich halte freie Grenzen und freien Handel für sehr wichtig. Wir profitieren alle davon. Ich weiß, dass einige inzwischen wieder in nationalen Kategorien denken. Ich finde das dumm und kleingeistig.“Walter Pröpper (82), Rentner aus Hattingen
"Europa ist für mich die Freiheit, sicher zu reisen und andere Kulturen kennen zu lernen."Anna Makrlik (18), 2. Vorsitzende des Oberhausener Jugendparlaments
"Europa ist für mich ein Länder verbindendes Instrument für wirtschaftlichen Austausch. Es geht um Einheit, um wirtschaftliche Zusammenarbeit und um Freizügigkeit.“Marius Mann (39), Personalleiter aus Gelsenkirchen
"Europa ist für mich toll, nur zu weit entfernt. Die EU handelt, wir leben aber hier. Verordnungen sind nicht umsetzbar, Kriterien sind überzogen.“Bernhard Stratmann (57), Landwirt aus Bottrop
"Europa ist für mich als Migrant aus Guinea in Westafrika Vielfalt, Sicherheit und Zukunft. Mein medizinisches Studium und die Berufspraxis habe ich auch mit Stationen in der Schweiz sowie Frankreich absolviert und nun in Deutschland eine neue Heimat gefunden.“Thierno Alpha Oumar Balde (39), Facharzt für Neurologie und Spezielle Neurosonografie, Oberarzt am St. Barbara-Hospital in Gladbeck
"Europa ist für mich eine Qual! Die Erlasse aus Brüssel ärgern mich! Etwa der Verbot der Strohhälme: Wer denkt an behinderte Menschen, die so etwas brauchen?“Karl Brida (65), Rentner aus Witten
"Europa ist für mich als Einheit unverzichtbar. Ich bin fest der Meinung, dass Europa uns stetig weiterbringen kann. Nicht nur auf nationale Ebene, sondern auch weltweit. Abgesehen von der gemeinsamen Währung und dem freiem Reisen, bekommt man im tagtäglichen vielleicht nicht viel mit, was das Europäische Parlament für uns bedeutet.“Matthijs Susan (51), Physiotherapeut aus Velbert, gebürtiger Niederländer
"Europa ist für mich eine sich auflösende Gemeinschaft. Die Briten haben sich für den Brexit, den Ausstieg aus der EU entschieden. In Osteuropa gibt es viele Staaten, die sich nicht mehr an eigentlich vereinbarte Normen halten. Italien schwächelt und kommt anscheinend bei den Finanzen nicht mit der Union überein. Dabei wäre gerade jetzt ein gemeinschaftliches Auftreten so wichtig."Christian Mach (43), Tätowierer aus Herne
"Europa ist für mich Kultur erleben und Länder bereisen."André Marston Alvarez, Deutsch-Peruaner aus Heiligenhaus und Student in Wien
"Europa ist für mich freie Grenzen, eine einheitliche Währung und eine gebannte Kriegsgefahr. Dass der Brexit die Jungen im Stich lässt, gefällt mir gar nicht.“Helmut Goslar (73), Rentner aus Duisburg
"Europa ist für mich das gelobte Land. Alle Afrikaner wollen nach Europa kommen, so wie ich aus Ghana. Wir glauben, dass hier alles super funktioniert.“Joy Jomsen (28), Sprachschülerin aus Bochum
"Europa ist für mich ein Kontinent in mittleren Breitengraden. Ich bin hier geboren. Europa hat politisch gesehen Vor- und Nachteile. Aber ich bin generell gegen Grenzen.“Florian Keller (27), Kellner aus Hattingen
"Europa ist für mich eine Gemeinschaft die auf Freiheit und Frieden beruht."Timur Tuna (16), Vorsitzender des Oberhausener Jugendparlaments
"Europa ist für mich meine Heimat, aber mit zu wenig Natur. Wenn ich Europa etwa mit Asien vergleiche, dann ist es dort viel grüner. Ich bin ein Natur-Fan, liebe den Dschungel, das habe ich in Europa nicht.“Mouhamad Dirani (19), Student aus Bochum 
"Europa ist für mich Zusammenhalt und Besonnenheit."Lisa Ratka (23), Abiturientin auf dem 2. Bildungsweg aus Duisburg
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