Düsseldorf. . CDU und FDP haben auf 121 Seiten ihre Koalitionsvertrag vorgelegt. Wähler werden nun schnell mit kritischem Blick prüfen, was daraus wird.

Die gängigste politische Konstellation der bundesrepublikanischen Geschichte ist plötzlich Avantgarde. CDU und FDP haben mit ihrem Koalitionsvertrag von Düsseldorf den Boden bereitet für die Bildung der einzigen schwarz-gelben Regierung in Deutschland.

100 Tage vor der Bundestagswahl ist dieses unerwartete Comeback des einst „bürgerlich“ genannten Bündnisses von hohem Symbolwert. Der künftige Ministerpräsident Armin Laschet und FDP-Chef Christian Lindner scheinen die Bürde der Bewährungschance zu spüren. Seit dem Wahltag betonen sie immerzu das projektartig Neue ihrer „Nordrhein-Westfalen-Koalition“, pflegen einen offenen Kommunikationsstil und üben demonstrative Fairness untereinander.

Nichts soll mehr erinnern an die schwarz-gelbe Chaos-Regierung im Bund zwischen 2009 und 2013, möglichst wenig an die überinszenierte Episode im Land zwischen 2005 und 2010.

Wähler messen Ergebnisse an Ankündigungen

Der Rückblick lehrt Demut. Laschet hat an dem zum Johannes-Rau-Wiedergänger geschminkten Jürgen Rüttgers oder der sich konsequent auf Folklore reduzierenden „Kümmerin“ Hannelore Kraft hautnah studieren können, dass Personenkult nicht mehr verfängt. Die Wähler erwarten nüchterne Problemlösung und messen Ergebnisse an Ankündigungen.

Die FDP hat diese Erkenntnis bereits 2013 nach dem „niedrigen, einfachen und gerechten Steuersystem“, das nie kam, mit dem Bundestags-Aus bezahlt. Laschet erhielt in den vergangenen rot-grünen Jahren ebenso Anschauungsunterricht für die Gefahren der Realitätsverweigerung: Die Aura von Ämtern und stromlinienförmige Mitarbeiter-Stäbe verführen offenbar dazu, Unangenehmes wie No-Go-Areas, Inklusionsprobleme und ideologische Verirrungen nicht mehr sehen zu wollen.

Nicht zuletzt vermittelt Laschet der Blick in die Chronik ein Gefühl für die richtige Balance zwischen Kleinmut und Großmäuligkeit im Amt: NRW muss sich nicht lustlos selbstverzwergen wie unter Kraft, braucht aber auch kein trommelndes Super-Ego der Marke Steinbrück.

Der Realitätscheck steht noch aus

Viel Zeit bekommt die neue Landesregierung nicht. Nach dem aggressiven „Schlusslicht“-Wahlkampf von CDU und FDP wird man schnell mit kritischem Blick prüfen, ob sich die Kriminalitätszahlen bessern. Ob die Rückabwicklung des „Turbo-Abiturs“ gelingt. Ob die klammen Kommunen auf die Beine kommen und der wirtschaftliche „Entfesselungsimpuls“ mehr ist als eine Wortkreation der FDP. Obwohl Schwarz-Gelb nicht einmal zwei Hände voll Landtagsabgeordnete aus dem Ruhrgebiet stellt, scheint Laschet erkannt zu haben, dass ohne das bevölkerungsreiche Revier keine messbaren Erfolge Nordrhein-Westfalens möglich sind.

Hier wartet in vielen Politikbereichen also der Realitätscheck. Und als Gegner eine SPD, die zwischen Duisburg und Dortmund weiterhin stolze und strukturelle Mehrheitspartei ist.

Laschet findet historische Bedingungen vor

Schwarz-Gelb fällt das Glück zu, in Zeiten übervoller Kassen mit dem Regieren beginnen zu dürfen. Die Steuern sprudeln, die Beschäftigung brummt, die Zinsen liegen am Boden, und Rot-Grün hinterlässt in diesem Jahr sogar Kreditermächtigungen von 1,6 Milliarden Euro. Laschet ist verdammt, diese historischen Bedingungen zu nutzen und gleichzeitig das Schuldenmachen schnell zu beenden.