Mit der Kritik am Bestehenden beginnt der Dialog – das ist eine der historischen Lehren aus der Reformation. Der Dialog tut heute mehr Not denn je.
Es ist nur wenige Jahrzehnte her, dass sich die christlichen Konfessionen in unserem Land kritisch beäugten. Noch auf dem Schulhof meiner Grundschule gab es eine weiße Linie als Grenze. Sie verhinderte, dass evangelische und katholische Kinder miteinander spielten. Bei den Eltern war es nicht besser: Protestanten betrachteten sich oft als die besseren und aufgeklärteren Christen, während sie von den Katholiken als Abtrünnige und Irregeleitete gesehen wurden.
Gottlob ist das heute weitgehend anders: Einmal, weil sich eben immer weniger Christen um die Details ihrer Religion kümmern. Aber auch, weil Ökumene immer mehr gelebt wird und die katholische Kirche mit Franziskus einen Papst hat, den Martin Luther wohl kaum kritisiert hätte.
An jenen Mönch erinnern wir uns heute, der vor 499 Jahren mit seinen Gedanken und Forderungen die Welt veränderte. Allerdings hatte Luther nicht vor, eine eigene Konfession zu gründen. Vielmehr wollte er das Verlogene und gewiss nicht Christliche der damaligen Kirche anprangern. Sein wichtigster Gedanke: Der Glaube allein schafft Erlösung, kaufen kann man sie nicht
Dass solche Ideen schon bald den furchtbaren 30-jährigen Krieg zeitigten, dem die halbe Bevölkerung Europas zum Opfer fiel, konnte er nicht ahnen und das darf man ihm auch nicht anlasten. Wahr ist allerdings auch: Bei den allermeisten sogenannten Religionskriegen geht es nicht um Gott oder Glauben, sondern schlichtweg um Macht. Luther wollte verändern, reformieren; und das vor allem mit der Kraft des Wortes. Seine Rhetorik war so gewaltig, dass er quasi nebenher unsere deutsche Schriftsprache bis auf den heutigen Tag prägte.
Luthers Standfestigkeit und sein Mut können auch heute noch Vorbild sein. Etwa, wenn wir an die religiösen Auseinandersetzungen im Islam denken. Veränderungen beginnen immer mit der Kritik des Bestehenden; ihr muss die Bereitschaft zum Dialog folgen. Zu Luthers Zeit war dies bekanntlich nicht so. Und darum geht das christliche Lager seit knapp einem halben Jahrtausend getrennte Wege.
Erst seit jüngster Zeit unternehmen vor allem zahlreiche Gemeinden vielfältige Anstrengungen zur Aussöhnung zwischen Protestanten und Katholiken. Und kürzlich hat Papst Franziskus Luther ausdrücklich gelobt. Ein gutes Wort, das jetzt unbedingt weitergelebt werden muss. Wenn das Christentum insgesamt mehr Einigkeit und dadurch neue Kraft erlangt, dann wäre dies ein gutes Ergebnis des nun beginnenden Lutherjahres. Dem streitbaren Reformator hätte dies bestimmt gut gefallen.