Kein Komplett-Ausschluss für Russland – aber das Thema Doping hängt wie eine bleierne Wolke über Rio. Ein Kommentar.

Russischen Sportlern, die nachweislich nicht in das Dopingsystem ihres Landes involviert sind, eine Hintertür nach Rio geöffnet zu haben, sieht auf den ersten Blick nach einem faulen Kompromiss des Internationalen Olympischen Komitees aus. Hinter der Absage an eine Kollektivstrafe reflexartig ein Einknicken von IOC-Präsident Thomas Bach vor Wladimir Putin zu vermuten, wäre freilich zu billig. Ein Urteil lässt sich erst fällen, wenn man weiß, wie die Fachverbände mit der ihnen von Bach zugeschobenen Verantwortung (das mag man clever nennen) umgehen.

Während das Thema Doping bleischwer auf den bevorstehenden Olympischen Spielen lastet, feiert sich Frankreich gerade für eine dopingfreie Tour de France.Zur Erinnerung: Kein Sport, vom Gewichtheben vielleicht abgesehen, ist mehr unter Generalverdacht gestellt worden als der Radsport. Seit einigen Jahren nun versuchen gerade die Organisatoren des größten Rad-Spektakels dem Publikum einzureden, man habe verstanden. Wer allerdings aus den auch 2016 wieder ausnahmslos negativen Dopingtests schließt, die Tour sei tatsächlich sauber geworden, glaubt vermutlich auch, Kettenrauchen würde Lungenkrebs vorbeugen.

Erst vor einem Jahr hat eine vom Radsport-Weltverband eingesetzte unabhängige Reformkommission zahlreiche Verstöße der früheren Verbandsführung festgestellt, die darin gipfelten, dass der als Betrüger enttarnte sechsmalige Tour-Sieger Lance Armstrong „beschützt“ und „von Regeln befreit“ worden sei. Olympische Sanktionen gegenüber der UCI standen jedoch nie zur Debatte.

Sicher, die aktuellen Anschuldigungen gegen Russland haben eine neue Qualität. Gleichwohl ist bei vielen Reaktionen Heuchelei und Doppelmoral im Spiel. Dazu gehört: Russland an den Pranger zu stellen und zu einem Land wie Jamaika, das mit Usain Bolt das größte olympische Zugpferd stellt, zu schweigen; präziser: dort keine Einhaltung der Dopingbestimmungen einzufordern. Nebenbei: Die russischen Machenschaften sind nicht durch Antidoping-Organisationen aufgedeckt worden, sondern durch Kronzeugen, die in ihrem Land heute als Verräter gelten.

Erwiesen ist: Die viel beschworenen Selbstreinigungskräfte des Sports haben weitgehend ebenso versagt wie staatliche Instanzen (in Deutschland etwa beim Skandal um die Uni Freiburg). Und auch die Mittäterschaft eines Staates ist ja keineswegs so beispiellos, wie IOC-Präsident Thomas Bach der Welt glauben machen will. Schon mal vom Staatsdoping in der DDR gehört?

Keine Frage, die Faszination Olympischer Spiele ist ungebrochen, mögen die Ideale von Pierre de Coubertin auch noch so oft verraten werden. Aber die bittere Wahrheit ist: Wer sich an Olympia weiter erfreuen will, muss lernen, mit der Doping-Lüge zu leben.