Ausgerechnet dieser Vorwurf! Die SPD-Spitze kümmere sich nicht mehr um soziale Gerechtigkeit, sagen Junge und Ältere in der NRW-SPD. Härter geht es nicht. Das ist so, als würde man Grünen vorwerfen, sie hätten nichts mehr mit Umweltschutz im Sinn. Oder der FDP unterstellen, sie hielte nichts von Freiheit. Die SPD war stets eine komplizierte, mit sich selbst streitende Partei. Aber das Leitbild „Soziale Gerechtigkeit“ hält den Laden seit 150 Jahren zusammen. Ohne diesen „Markenkern“ geht es nicht.
Seltsam konturenlos erscheint die SPD heute, und sie befindet sich damit in größerer Gesellschaft. Wofür stehen CDU, SPD, FDP oder Grüne? Sie alle tummeln sich irgendwo in der Mitte, jeder kann notfalls mit jedem regieren. Und wenn es die Wahlergebnisse nicht anders hergeben, dann ordnet sich die Union im Südwesten einem grünen Ministerpräsidenten unter, SPD und Grüne in Thüringen einem Linken. Sie sind konsensfähig. Aber leider auch beliebig geworden.
Der Ruf nach mehr „Markenkern“ erreicht die SPD in einer tiefen Krise. In der großen Koalition geht sie (wieder einmal) unter. In Umfragen kratzt sie an 20 Prozent. Im Osten kann sie inzwischen schon froh sein, wenn sie zweistellige Wahlergebnisse einfährt. Wen wundert es da, wenn Mitglieder kritisch nach dem Kurs fragen? Dieselbe Partei, die mal ein ganz großes Projekt begann – „Mehr Demokratie wagen“ – glaubt heute, sie käme mit einem Mindestlohn durch.