Olpe. Durch die Potsdamer Konferenzen mussten nach dem Zweiten Weltkrieg rund sieben Millionen Menschen ihre Heimat verlassen. Die Großmutter der Zeus-Reporterin Stefanie Hilgers war eine von ihnen. Die damals 11-Jährige berichtet heute ihrer Enkelin von den Erlebnissen.

Am 12. März 1946, zehn Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs, begannen für meine Oma, die damals 11 Jahre alt war, große Strapazen. Sie war eine der sieben Millionen Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten (heute: Polen), die als Folge der Potsdamer Konferenzen und der dort direkt nach Kriegsende 1945 gefassten Beschlüsse der vier Siegermächte, USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion, ihre Heimat in Richtung Westen verlassen mussten. Die Heimatstadt meiner Oma war Bad Reinerz in Schlesien, das heutige Duszniki Zdrój im Südwesten Po-lens.
Eines Abends klopfte es bei Oma an der Tür und es ertönte eine Stimme: „Morgen um 7 Uhr müssen Sie am Sportplatz sein. Mitnehmen, was sie tragen können.“

Eine Fahrt ohne bekanntes Ziel. Meine Oma und ihre Familie erschienen am Sportplatz. Dort waren schon sehr viele Menschen versammelt. Alle stiegen in Viehwagen, doch keiner wusste, wohin sie fahren würden, wieso und weshalb.

Eine Fahrt ohne bekanntes Ziel

Schließlich hielt der Viehwagen in Glatz (heute: Kłodzko, rund 80 km südwestlich von Breslau). Dort wurden sie in ein Gebäude einquartiert, doch dieses Gebäude war überfüllt, die Toiletten waren verstopft, es gab keine Verpflegung und auch keine Schlafmöglichkeit, Diebstahl war an der Tagesordnung. Nach acht Tagen ging die Fahrt mit der Eisenbahn im Viehwaggon ohne Verpflegung und Schlafmöglichkeit weiter, doch immer noch war das Ziel unbekannt.

Nach langer Fahrt hielt die Eisenbahn an der Grenze zwischen der sowjetisch besetzten Zone (deutsche Ostzone, spätere DDR) und den deutschen Westzonen (spätere BRD). Alle hofften, dass sie weiter in die Westzonen fahren würden, weil in der sowjetisch besetzten Zone schon zu erkennen war, dass hier ein kommunistischer Staat aufgebaut werden sollte. Dem brachten die Vertriebenen kein Vertrauen entgegen, weil in ihren Augen die sowjetischen Kommunisten schuld an ihrer Vertreibung waren. Deswegen war die Erleichterung groß, als der Zug wirklich weiter in den Westen fuhr.

Fahrt Richtung Westen

Nach einer scheinbar endlosen Fahrt erreichten die Flüchtlinge ein Aufnahmelager. Dort gab es seit langem das erste Mal wieder ausreichend Verpflegung und auch ein richtiges Bett stand zur Verfügung.

Die Fahrt ging weiter in Richtung Westen, dieses Mal mit Lastwagen bis nach Siegen, zum Wellersberg. Heute befindet sich an dieser Stelle eine Kinderklinik. Dort wurde meine Oma erneut untergebracht und auch gefragt, in welche Region sie sich niederlassen wollten, im Bereich Olpe oder im Bereich von Bielefeld. Meine Oma und ihre Familie sind katholisch. Deswegen entschieden sie sich für eine katholische Gegend und kamen nach Olpe.

Mit einem Lastwagen ging es dann nach Olpe, zur heutigen Bäckerfachschule, dort gab es gute Verpflegung. Nach sechs Wochen Aufenthalt in dieser ersten Unterkunft ging es nach Neuenkleusheim, wo sie endgültig leben sollten und ein Zimmer zugeteilt bekamen.

Mit dem Lastwagen nach Olpe

Erst jetzt wurde ihnen klar, dass sie wahrscheinlich nie wieder in ihre Heimat zurückkehren würden.

Die Einheimischen waren den Fremden gegenüber zu Beginn nicht immer freundlich eingestellt, weil in den westlichen Besatzungsgebieten nach dem Krieg auch noch Armut, Not und Wohnungsknappheit herrschte. Also mussten die Vertriebenen mit Hilfe der Polizei eingewiesen werden.

Die Vertreibung von Schlesien nach Olpe hat insgesamt vom Frühling bis zum Herbst 1946 gedauert. Meine Oma lebte sich zwar langsam ein, doch das Ganze wirkt für sie auch heute noch wie eine „Muss-Heimat“.

Vor zwei Jahren besuchte meine Oma ihre alte Heimat und erkannte dort beispielsweise die Kirche wieder. Ich hoffe, dass ich in meiner Heimat bleiben kann und so etwas nicht erleben muss.

Stefanie Hilgers , St.-Franziskus-Gymnasium, 8c