Bochum. Marcus Lehnhardt (45) ist Leiter der Handchirurgie an der Unfallklinik Bergmannsheil in Bochum. Im Interview mit Zeus-Reporter Niklas Lehnhardt berichtet er über die Behandlung einer seltenen angeborenen Daumenfehlbildung.

Das hier vorgestellte anderthalbjährige Mädchen, war ohne funktionierende Daumen auf die Welt gekommen. Professor Lehnhardt berichtet über die aufwendige Konstruktion beider Daumen bei diesem Kind.

Zeus: Herr Professor Lehnhardt bitte stellen Sie sich selbst kurz vor.

Marcus Lehnhardt: Ich bin 45 Jahre alt, Facharzt für plastische Chirurgie und leite die Klinik für Hand- und plastische Chirurgie an der Uniklinik Bergmannsheil Bochum. Dort beschäftige ich mich unteranderem mit Verletzungen und Fehlbildung an der Hand.

Unter ihren Patienten war vor kurzem ein kleines Mädchen. Was ist ihm passiert?

Die kleine Dunja ist ohne funktionsfähige Daumen auf die Welt gekommen. Die Daumen waren zwar beidseits vorhanden aber nur als funktionslose Stummel.

Was war an der Fehlbildung so problematisch?

Während der Verlust eines Zeige- oder Mittelfingers für die Funktion der Hand vernachlässigbar ist, stellt der Daumen für die Greiffunktion der Hand den wichtigsten Faktor dar.

Das heißt, die Greiffunktion muss möglichst früh rekonstruiert werden, damit sich das Mädchen normal entwickeln kann?

Richtig. Während wir bei Erwachsenen die Möglichkeit haben, bei Verlust eines Daumens, eine Zehe vom Fuß zur Rekonstruktion zu übertragen, muss bei einem Kleinkind eine andere Methode gewählt werden, da hier Nerven und Gefäße so noch klein sind, dass sie nicht übertragen werden können. :

Wie haben sie das Problem gelöst?

Wir haben uns nach langer Diskussion mit dem gesamten Team entschlossen, den Zeigefinger als Daumenersatz umzusetzen.

Wie muss man sich das vorstellen?

Unter Erhalt der Blutgefäße, Nerven und Sehnen wird der Zeigefinger am Knochen durchtrennt, um 90° gedreht und in die Position des Daumens gebracht.

Und dann kann der neue Daumen sofort benutzt werden?

Für einen Zeitraum von vier Wochen muss der neue Daumen komplett eingegipst werden, damit alles in Ruhe heilen kann. Danach steht er zum Greifen bereit.

Werden beide Seiten gleichzeitig operiert?

Nein. Es wird erst eine Seite und nach Wiedererlangung der Greiffunktion – fühstens drei Monate später – die andere Seite operiert.

Wie oft kommt so etwas vor?

Angeborene Fehlbildungen im Bereich der Hand sind sehr selten. Die sehr aufwendige Behandlung bleibt deshalb hochspezialisierten Centren vorbehalten. :

Niklas Lehnhardt, Klasse 8b, Schiller-Schule Bochum