Bochum. Wie sicher ist Organspende? Woher bekomme ich einen Ausweis? Wie läuft eine Transplantation ab? Und kann man dem ganzen System nach den jüngsten Skandalen überhaupt noch trauen? Zeus-Reporterin Daria Mielke hat Prof. Dr. Richard Viebahn getroffen und zum Thema Organspende interviewt.

Organspende ist ein heikles Thema. Erst recht nach dem jüngsten Transplantationsskandal. Zeus-Reporterin Daria Mielke hat dazu Richard Viebahn, Professor für Chirurgie an der Ruhr-Universität und Klinischer Direktor der Transplantationsabteilung am Knappschaftskrankenhaus Langendreer interviewt. Ihre zentrale Frage: Kann man dem System vertrauen?

Ich möchte zunächst allgemeine Fragen zu dem Thema Organspende stellen und danach auch Fragen zu den aktuellen Geschehnissen in Göttingen und Regensburg.

Sie sind Professor für Chirurgie an der Ruhr-Universität Bochum und Transplantationschirurg. An Ihrem Haus werden Nieren und Bauchspeicheldrüsen transplantiert. Wie viele Nieren werden pro Jahr in Deutschland transplantiert und wie viele davon in Bochum?

Pro Jahr werden in Deutschland etwa pro Jahr 3000 Nierentransplantationen durchgeführt, davon in Bochum etwa 100. Bochum ist eines von etwa 40 Zentren an denen solche Operationen durchgeführt werden und im vergangenen Jahr waren wir das fünftgrößte Zentrum.

Wie erkennt man, ob ein Patient ein Organ braucht und wer entscheidet prinzipiell, dass man eins braucht?

Also, erkennen tut das der Patient meistens selber. Das heißt er weiß natürlich nicht, dass er ein Organ braucht, aber er fühlt sich sehr krank und geht zu seinem Arzt. Der untersucht in dann und stellt anhand von Laborwerten, Ultraschall oder Röntgen fest welches Organ geschädigt ist. Dann überlegt der Arzt ob man die Erkrankung durch Medikamente oder Diät behandeln kann, also ob man das Organ retten kann. Leider bleiben dann doch einige Menschen übrig, in Deutschland sind das etwa 12 000 Patienten, die ein neues Herz, Leber, Lunge oder Niere benötigen. Man überprüft dann, ob der Mensch für eine Transplantation in Frage kommt. In diesem Fall wird er bei Eurotransplant auf der Warteliste angemeldet. Jedes mal, wenn ein Organ angeboten wird, also ein anderer Patient hirntot ist und dieser zu Lebzeiten oder durch seine Angehörigen in die Organspende eingewilligt hat, kann eine Spende durchgeführt werden. Noch bevor die Organe entnommen werden, wird der Spender bei Eurotransplant gemeldet. Abhängig von vielen Werten wie zum Beispiel der Blutgruppe wird dann abhängig von der Warteliste ein passender Empfänger ausgewählt. Oben in der Liste stehen immer die, die am längsten gewartet haben, zu denen das Organ am besten passt und die am kränksten sind.

Kann jeder das Organ eines anderen bekommen oder müssen bestimmte Dinge beachtet werden?

Also, zunächst muss der Patient natürlich eines benötigen. Dann aber wird jeder auf die Warteliste aufgenommen, unabhängig von Versicherung, Beruf, Vermögen oder gesellschaftlichem Rang auf die Warteliste. Bei der Berichterstattung über die Transplantationsskandale wurde nicht berücksichtigt, dass auch die Menschen, die ein Organ bekommen haben, sehr krank waren. Es gab allerdings womöglich andere Patienten, die noch kränker waren und vielleicht leer ausgegangen sind. Aber jeder, der ein lebensbedrohliches Organversagen hat und dem man mit der Transplantation helfen kann, kommt auf die Warteliste. Und wird auch ohne Ansehen der Person, also anonym, auf der Warteliste geführt.

Nach welchen Regeln werden die Spenderorgane zugeteilt?

Das ist bei den einzelnen Organen unterschiedlich. Ein wichtiger Punkt ist die Wartezeit. Dann gibt es bei Lunge, Herz und Leber ein System von Laborwerten, das zeigt, wie krank ein Patient ist und wie dringend er ein neues Organ braucht. Ein weiterer Punkt ist auch wie weit ein Spender von einem Empfänger entfernt ist. Es kann natürlich auch sein, dass der kränkste der Warteliste gerade noch eine Grippe hat und man ihn im Moment nicht transplantieren kann. Dann muss er in diesem Moment übergangen werden und man muss den nächsten geeigneten Spender finden. So kann es sein, dass auch mal der vielleicht erst Zehnte der Liste an die erste Stelle rutscht, weil Nummer Eins bis Neun zur Zeit nicht zur Verfügung stehen.

Wie wird festgestellt, dass jemand wirklich hirntot ist? Werden die Organe dann in dem gleichen Krankenhaus transplantiert?

Die Feststellung des Hirntodes basiert auf einer genau vorgeschriebenen Reihe von Untersuchungen. Am Ende dieser Untersuchungen steht fest, dass das Großhirn, das Kleinhirn und das obere Ende vom Rückenmark, wo das Atemzentrum liegt, unumkehrbar geschädigt, also tot sind. Dies muss von zwei unabhängig arbeitenden Experten bestätigt werden. Dann gilt der Hirntod als festgestellt und das ist die Voraussetzung für eine Organspende. Dann wird in der Regel die Organspende-Operation durchgeführt, bei der die Organe entnommen werden. Dies geschieht meist in dem Krankenhaus, in dem der Hirntod festgestellt wurde. Das kann ein kleines Krankenhaus irgendwo auf dem Land sein und dort wird dann nicht transplantiert. Durch die Deutschland- und Europa-weite Warteliste bekommt ja derjenige das Organ, der es am dringendsten benötigt. Es kann also sein, dass wir hier in Bochum zwei Nieren entnehmen aber eine nach Dresden und die andere nach München geht und wir keine abbekommen. Aber nächstes Mal bekommen wir vielleicht zwei aus München. Ganz wichtig ist mir aber eine Sache: Hirntod-Diagnostik findet nicht irgendwo auf der Straße statt, wenn einer einen Motorrad-Unfall hatte. Zur Feststellung eines Hirntods muss der Patient immer auf einer Intensivstation liegen und es muss sicher sein, dass er keine Gifte im Körper hat oder Drogen, die einen Hirntod simulieren können. Die Organentnahme ist auch nicht etwas, dass unter abenteuerlichen Bedingungen stattfindet, sondern eine richtige Operation in einem OP mit Spezialisten, die dafür teilweise anreisen müssen.

Wie ist der Ablauf einer Organspende im Krankenhaus?

Der Ablauf beginnt damit, dass in der Regel die Anästhesisten auf einer Intensivstation feststellen, dass ein Patient möglicherweise hirntot ist. Spezialisten von außerhalb werden hinzugezogen, die die Hirntodfeststellung durchführen. Die Angehörigen werden dann befragt, ob eine Organspende im Sinne des Verstorbenen wäre. Zu diesem Zeitpunkt ist ja das Gehirn tot und das Herz schlägt noch, dieser Zustand ist den Angehörigen sehr schwer zu vermitteln. Wenn also die Angehörigen einer Transplantation zustimmen, werden die medizinischen Daten des Organspenders zu Eurotransplant übermittelt. Dort wird im Computer überprüft, wer als Empfänger in Frage kommt. Und parallel dazu wird dann schon mal der Operationssaal vorbereitet, der hirntote Patient wird von der Intensivstation in den Operationssaal gebracht und dann findet die Organspende-Operation statt. Manchmal hat der Spender zu Lebzeiten vielleicht schon festgelegt hat, welche Organe er spenden möchte. Andernfalls wird vorher entschieden, welche Organe für eine Transplantation geeignet sind. Dazu muss man zum Beispiel bei einer Herzspende-Operation den Brustkorb eröffnen und muss die Organe, die gespendet werden sollen freilegen. Dann werden sie aus dem Körper herausgenommen und in einer speziellen Konservierungslösung auf Eis, bei etwa vier Grad Celsius in das Krankenhaus transportiert, wo der Empfänger dieser Organe operiert wird.

Braucht man unbedingt einen Spenderausweis um ein Organ zu spenden. Wer entscheidet, wenn man keinen Ausweis hat?

Am Besten ist es, wenn man einen Spenderausweis hat, auch mit dem neuen Transplantationsgesetz. Es ist auch gut, wenn man keine Organe spenden möchte und dies auch auf dem Organspendeausweis ankreuzt, es erleichtert eben in dieser Situation das Gespräch mit den Angehörigen. Wenn der hirntote Mensch keine Willensfestlegung zu Lebzeiten gemacht hat, dann darf man die Angehörigen fragen und die dürfen eine sogenannte Botenfunktion übernehmen und sagen, was im Sinne des Verstorbenen gewesen wäre.

Wie bekommt man einen Spenderausweis? Wie alt muss man dafür sein?

Das ist eine gute Frage! Wir gehen heutzutage davon aus, dass man mit 16 alt genug ist, einen Spenderausweis ausfüllen zu können. Normalerweise bekommt man den Ausweis beim Hausarzt, in Krankenhäusern, Apotheken oder bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Seit dem 1. November sind auch die Krankenkassen verpflichtet, ihren Mitgliedern regelmäßig Organspendeausweise und Informationsmaterial zukommen zu lassen.

Was ändert sich durch das neue Transplantationsgesetz?

Wir hoffen alle sehr, dass sich durch die regelmäßige Information aller krankenversicherten Menschen in Deutschland mehr Leute einen Organspendeausweis ausfüllen und zu Lebzeiten festlegen, dass sie Organspender sein wollen.

Was ist denn bei dem aktuellen Organspendeskandal wirklich passiert?

Bei dem Transplantationsskandal hat man versucht, Patienten der Warteliste einzelner Transplantationszentren auf der Warteliste weiter nach vorne zu bringen. Hierzu wurden in einigen sehr schweren Fällen Laborwerte manipuliert, die dann bei Eurotransplant in den Computer eingegeben wurden und zu einer Bevorzugung dieser Patienten geführt haben. Die Ursache lag hier in der Angabe gefälschter Laborwerte vom Transplantationszentrum an Eurotransplant.

Wie konnte diese Situation überhaupt eintreten?

Hier war besonders das Transplantationszentrum in Göttingen betroffen: Dort wollte man mehr Transplantationen vornehmen, da solche Operationen sehr Stark zum guten Ruf und zum Umsatz der Klinik beitragen- außerdem war das Gehalt des Teamchefs dort von der Anzahl der Transplantationen abhängig. Allerdings muss man einräumen, dass die dort transplantierten Patienten alle sehr krank waren und eine Leber benötigten- nur standen sie ohne die Manipulationen nicht an erster Stelle der Warteliste. Gegen dieses Ziel habe ich letztlich auch nichts, weil ich selber viele Jahre auch Lebern transplantiert habe und gut weiß, was in einem vorgeht. Das berechtigt jedoch nicht, dass man solche Daten manipuliert. Man muss in der Transplantationsmedizin zur Kenntnis, dass in einem anderen Krankenhaus vielleicht ein noch kränkerer Patient liegt, als der Patient im eigenen Haus. Und das macht die Sache an der Transplantationsmedizin so schwierig, dass wir das Leid eines Patienten in Bochum gegen das Leid eines Patienten, den man gar nicht kennt, der vielleicht in Berlin oder München lebt, aufwiegen müssen. Und wenn wir das fair machen wollen, dann darf es so einen Betrug nicht geben.

Die Medien haben über Einzelfälle an wenigen Kliniken berichtet, jedoch auch das ganze System der Organspende in Frage gestellt – was ist Ihre Meinung dazu?

Das System ist sicherlich sehr gut. Das System hat wie jedes System nicht mit der Unvollkommenheit des Menschen gerechnet. Wir haben einige Verbesserungen vorgenommen, die solche Entwicklungen nicht erlauben oder sofort entlarven.

Was wird gemacht oder muss gemacht werden, um das Vertrauen und die Bereitschaft der Menschen wiederherzustellen?

Das ist eine gang ganz schwere Frage. Bereits vor dem Skandal haben uns nur wenige überhaupt zugehört. Was wir brauchen ist auch eine Unterstützung der Presse, die ja bislang berechtigterweise sehr kritisch berichtet hat. Es ist allerdings an der Zeit, den Lesern zu vermitteln, dass das System repariert wurde und das vertrauen der Menschen wieder verdient. Schließlich ist in der Bevölkerung das Interesse an Organspende ist nie sehr groß gewesen. Die Bereitschaft, den Organspendeausweis auszufüllen, bedeutet ja, dass man sich mit seinem eigenen Tod auseinandersetzen muss. Das ist ein für Deutschland typisches Problem. Viele Mitbürger werden erst auf die Organspende aufmerksam, wenn sie selbst oder ein nahe stehender Mensch ein Organ benötigen. In Spanien zum Beispiel ist das gar nicht so. Spanien hat mehr als doppelt so viele Spender bezogen auf die Größe der Bevölkerung. In Spanien ist es seit Jahren Pflicht und modern, dass jeder Organspender ist. Das wird auch nicht hinterfragt. Dieses Hinterfragen ist ja auch eine positive Eigenschaft der deutschen Kultur, aber wir übertreiben das ein bisschen.

Haben Sie einen Organspendeausweis?

Ja. Willst du ihn sehen? Ich zeige ihn dir mal. … Kramt in seinem Portemonnaie und liest vor, was hinten drauf steht und was er angekreuzt hat. „Ich gestatte, dass nach der ärztlichen Feststellung meines Todes meinem Körper Organe entnommen werden können.“, das habe ich angekreuzt. Nach meinem Todesbild ist es mir egal, wie ich in den Himmel oder in die Hölle komme. Ich brauche dafür nicht mein Herz, oder meine Lunge, oder meine Leber, oder meine Nieren, sicher nicht.


Vielen Dank Herr Professor Viebahn für das interessante und sehr aufschlussreiche Interview. Es hat uns sehr viel zum Nachdenken veranlasst.

Daria Mielke, Klasse 8c, Schiller-Schule, Bochum