Köln. . Zeus-Reporter waren zu Gast in der Bundesgeschäftstelle von Unicef-Deutschland in Köln und haben Marianne Müller-Antoine, Unicef-Ansprechpartnerin für Kinder und Jugendliche, interviewt.

Rund 250.000 Kinder in 13 Ländern werden als Soldaten missbraucht. Viele von ihnen sind erst zehn Jahre alt. Die internationale „Coalition to Stop the Use of Child Soldiers“, ein Zusammenschluss von Hilfsorganisationen, arbeitet mit Unicef zusammen und führt eine Liste mit den Ländern, in denen ihrer Ansicht nach, Kinder als Soldaten missbraucht werden. Sie orientieren sich an der, von den Vereinten Nationen erarbeiten, Kinderrechtskonvention und an der Konvention zur Abschaffung der Kinderarbeit, die die freiwillige und zwangsweise Rekrutierung von Kindern unter 18 Jahren verbietet.

Zeus-Reporter haben Marianne Müller-Antoine, Unicef-Ansprechpartnerin für Kinder und Jugendliche, in der Bundesgeschäftsstelle von Unicef-Deutschland in Köln besucht und mit ihr ein Interview über das Thema geführt.

Woher erfährt Unicef, wo und wann Kinder in Kriegsgebieten als Soldaten missbraucht werden?

In diesen Ländern gibt es überall Unicef-Mitarbeiter und die werden z. B. durch die Bevölkerung an Ort und Stelle und durch Mitarbeiter von anderen Hilfsorganisationen informiert. So erfährt Unicef schon sehr schnell, dass Kinder in Kriegsgebieten eingesetzt werden.

Viele Familien und Dörfer wollen nicht, dass die ehemaligen Kindersoldaten zurückkommen


Wie greift Unicef ein?

Unicef verhandelt intensiv zwischen den Chefs der Kriegsparteien oder zwischen Regierung und Milizen, damit die Kinder aus dem Kriegsdienst entlassen werden. Es werden Vereinbarungen getroffen, dass sie nach und nach ihre Kindersoldaten freilassen. Dabei ist es hilfreich, dass der Einsatz von Kindersoldaten ein sehr negatives Ansehen hat und auch am Internationalen Strafgerichtshof verfolgt werden kann. Daher wirken auch die Bemühungen von Unicef.

Gibt es eine Direkthilfe in Krisengebieten?

Direkthilfe, d.h. ein Eingreifen in einen Krieg findet nicht statt. Wir können nicht in ein Kriegsgebiet fahren, denn wir würden unsere Mitarbeiter gefährden. Wenn Unicef in ein Kriegsgebiet fährt, dann werden die Mitarbeiter durch Wachpersonal unterstützt.

Setzt Unicef Therapeuten ein, um Kriegstraumata bei geschädigten Kindern entgegen zu wirken?

Die betroffenen Kinder kommen erst einmal in ein Übergangsheim. Dabei ist ganz wichtig zu sagen, dass wir alle Maßnahmen nicht nur für die Kindersoldaten, sondern auch für alle anderen Kinder in dieser Region anbieten. Alles andere wäre sehr ungerecht. Wir wollen, dass alle Kinder gleich behandelt werden. Die ehemaligen Kindersoldaten können sich in diesen Übergangheimen erst einmal erholen und haben auch die Möglichkeit mit Therapeuten zu arbeiten, um ihre Erfahrungen aufzuarbeiten. Dort können sie auch Kurse machen. Oft haben die Kinder keine schulische oder berufliche Ausbildung. Der nächste Schritt ist dann, dass man versucht herauszufinden, ob es überhaupt noch Überlebende der Familien gibt. Unser Ziel ist es, dass die Kinder wieder in ihre Familie zurückkehren können. Aber viele Familien und Dörfer wollen das nicht. Deshalb haben viele Jugendliche Angst und schämen sich. Sie wissen ja, dass sie Menschen umgebracht haben und dass sie sich selbst und ihrer Familie geschadet haben. Unicef muss viele Gespräche führen, zwischen den Familien, den Kindern und auch der Dorfgemeinschaft, um die ehemaligen Kindersoldaten wieder in die Familie zu integrieren. Manchmal klappt es auch nicht.

In Nord-Uganda gibt es Flüchtlingslager, in denen die Kinder die Nacht verbringen

Welche Kriegsschäden - körperliche oder psychische Schäden - konnte Unicef ermitteln?

Unicef hat festgestellt, dass die psychischen Schäden bleiben, selbst wenn die körperlichen Schäden geheilt sind: Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Alpträume, Angst, Panikattacken, Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit und Schuldgefühle.

Welche Kindergruppe ist besonders betroffen vom Einsatz an der Waffe?

Das kann man nicht pauschal sagen, es gibt alles, Acht- bis Zehnjährige , die entführt worden sind. Es gibt Situationen, da wurde ein Dorf überfallen und die Kinder gekidnappt, da sind Kinder als Druckmittel missbraucht worden. Es gibt auch die Freiwilligen und die Jugendlichen, die angeworben worden sind. Ihnen wurden Versprechungen gemacht. Auch werden Familien unter Druck gesetzt, dass sie zum Beispiel ein Kind abgeben müssen, das am „Freiheitskampf“ teilnehmen muss. Für diese Kinder gibt es eine „Kriegsausbildung“.

Marianne Müller-Antione mit drei Zeus-Reportern aus der 9b der Maria-Sibylla-Merian-Gesamtschule in Bochum-Wattenscheid.
Marianne Müller-Antione mit drei Zeus-Reportern aus der 9b der Maria-Sibylla-Merian-Gesamtschule in Bochum-Wattenscheid.

Interveniert Unicef durch Aufklärung?

Beispielsweise gibt es in Nord-Uganda ein Flüchtlingslager, in das die Kinder jeden Abend gehen, um dort zu schlafen und am nächsten Tag gehen sie wieder zurück in ihre Familien. Sie haben Angst, dass ihre Dörfer nachts überfallen werden und sie rekrutiert werden. Dieses Beispiel haben wir auf der Homepage von Unicef auch mit Fotos dokumentiert. Auch baut Unicef bereits im Vorfeld von Auseinandersetzungen soziale Netzwerke auf, damit Aufklärungsarbeit überhaupt möglich wird.

Werden Kinder aus Krisengebieten herausgeflogen und in der Bundesrepublik in Schulen und Gastfamilien untergebracht?

Nein, das ist nicht das Prinzip von Unicef. Unsere Mitarbeiter arbeiten vor Ort mit den Kindern. Auch vermittelt Unicef keine Kinder ins Ausland, z.B. zur Adoption. Wenn ehemalige Kindersoldaten nicht in ihre Familien integriert werden können, sucht Unicef Gastfamilien in der Nähe, also in der Dorfgemeinschaft.

Am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag kann man den Einsatz von Kindersoldaten anklagen


Wo auf der Welt, glauben Sie, leiden Kinder unter der aktuellen Kriegssituation besonders?

Im Kongo in Zentralafrika, dort gibt sehr viele ethnisch und wirtschaftlich bedingte Kriege

Wie können Eltern oder ein Staat erlauben, dass Kinder zu Waffen greifen müssen und es tun?

Das ist die Frage, warum Kindersoldaten überhaupt eingesetzt werden: Kinder sind leicht zu manipulieren, werden unter Drogen und Alkohol gesetzt und haben dann keine Angst. Die Kindersoldaten werden dann vorgeschickt, sollen Nahrung und Waffen besorgen. Die Kinder machen das, weil sie keine Angst haben, weil sie keine Forderungen stellen, weil sie gefügig sind – das ist wirklich eine reine Manipulation von Kindern. Kinder sind die Täter, weil sie Menschen töten, aber sie sind auch die Opfer, weil sie von den Erwachsenen missbraucht worden sind. Am Internationalen Strafgeriichtshof in Den Haag kann man den Einsatz von Kindersoldaten anklagen, was auch schon mehrfach passiert ist. Das Gesetz sieht vor, dass es ein Kriegsverbrechen ist, wenn man Kinder unter 15 Jahren zwangsweise als Soldaten einzieht

Was erleben Kinder, wenn sie in einem Kriegsgebiet aufwachsen müssen?

Permanente Angst, z.B. im Kongo wird die systematische Vergewaltigung eingesetzt, d.h. Frauen, Männer und Kinder werden gedemütigt und erniedrigt. Milizen machen das, um Terror auf Menschen einer bestimmten Volksgruppe oder in einer bestimmten Region auszuüben. Das ist unvorstellbar was dort passiert, Mädchen und Jungen werden dort zum Beispiel monatelang festgehalten. Sie sind schließlich so traumatisiert, dass sie eine lange Zeit nicht mehr sprechen. Das Schlimme daran ist, dass sich die vergewaltigen Frauen und Mädchen danach immer noch schuldig fühlen, obwohl sie selbst gar keine Schuld haben. Unicef versucht den Opfern zu helfen.

Jugendliche, die keine Ausbildung haben, haben auch keine Perspektive

Wie kann Unicef verhindern, dass Kinder zu Waffen greifen bzw. durch Machthaber zu derartigen Handlungen gezwungen werden?

Verhindern kann Unicef den Einsatz von Kindersoldaten nicht, aber Unicef kann versuchen, die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz von Kindern im Krieg zu verbessern. Es gibt die Konvention über die Rechte des Kindes und ein Zusatzprotokoll zum Schutz von Kindersoldaten. Die Kinderrechtskonvention haben fast alle Länder der Welt ratifiziert. Sie haben sich also verpflichtet, die Rechte in Gesetze umzusetzen. Ausnahmen sind Somalia und die USA. Wir versuchen, Druck auszuüben, damit es nach und nach weniger Kindersoldaten gibt.

Wie holen die Kinder in Kriegsgebieten die fehlende Schul- und Ausbildung nach?

Das muss man halt sehen. Unicef versucht Schulen einzurichten, wenn der Krieg vorbei ist oder in den Flüchtlingslagern. Dann gibt es auch noch Aufholkurse und Ausbildungsangebote. Es ist extrem wichtig, dass dies passiert, und zwar nicht nur aus Sicht der Jugendlichen, sondern auch aus Sicht des Staates. Jugendliche, die keine Ausbildung haben, haben auch keine Perspektive. Sie haben nur eine Sache gelernt: zu töten. Dann suchen sie sich eine andere Armee und machen da weiter. Das ist das einzige, was sie können und dass ist dann letztlich auch sehr gefährlich für solch ein Land.

Wir danken Frau Müller-Antoine für die Offenheit und wünschen Unicef nach viel Erfolg bei der Arbeit.

Bayram Özkan, Alkan Ulusal, Philipp Lippner und David Wietschorke, Klasse 9b, Maria-Sibylla-Merian-Gesamtschule, Bochum-Wattenscheid