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Heute vor 35 Jahren hat man Ulrike Meinhof tot in ihrer Gefängniszelle gefunden. Mit dem Leben der RAF-Terroristin hat sich ZeusPower-Reporterin Melanie Schäfer beschäftigt.
35 Jahre ist es nun schon her, dass Ulrike Meinhof, ehemals populäre Journalistin und später zum Kopf der Roten Armee Fraktion (RAF) gehörend, im Alter von 41 Alter in der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim starb. Mord oder Selbstmord? Diese Frage ist bis heute ungeklärt und wird es wohl auch für immer bleiben. Doch wer war überhaupt diese Frau, die freiwillig in die Illegalität ging? Was ist geschehen, dass sie diesen alles verändernden Schritt ging?
Ulrike als engagierte Jugendliche
Am 7. Oktober 1934 wird Ulrike Marie Meinhof als zweite Tochter des Ehepaars Werner und Ingeborg Meinhof in Oldenburg geboren. Als sie fünf Jahre alt ist, stirbt ihr Vater, neun Jahre später verliert sie auch noch ihre Mutter. Ulrike Meinhof darüber: „Als meine Mutter starb, ist für mich die ganze Welt gestorben.“ In der Schule glänzt sie durch Charme, Intelligenz und einen ausgeprägten Glauben. Sie ist Mitherausgeberin einer Schülerzeitung, Mitglied in einer Europabewegung und engagiert sich in der Schülervertretung.
Studium inmitten der Revolte
Nach dem Abitur erhält sie ein Stipendium der „Studienstiftung des deutschen Volkes“, geht nach Marburg und beginnt Pädagogik, Soziologie und Germanistik zu studieren. 1957 zieht es Ulrike Meinhof nach Münster, wo sie als Sprecherin des „Anti-Atomtod-Ausschusses“ des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) tätig ist. Sie schreibt zum Thema Atomkraft unzählige Artikel und organisiert Veranstaltungen und Unterschriftensammlungen. Nach einer friedlichen Studentendemonstration hält sie eine
Rede, aufgrund derer ihr nun eine “ganz große politische Karriere“ (Manfred Kapluch) prophezeit wird. Von 1960 bis 1969 arbeitet sie als Kolumnistin und später als Chefredakteurin bei der linken Zeitschrift „konkret“, dessen Herausgeber Klaus Rainer Röhl sie Ende 1961 heiratet. Mit ihm bekommt sie zwei Töchter, die Zwillinge Bettina und Regine. Das Leben der Starkolumnistin scheint perfekt, doch gleichzeitig fühlt sie sich stark zu der linken Studentenbewegung hingezogen. Das Doppelleben zerreißt sie offenbar. Ein Jahr bevor sie „konkret“ endgültig verlässt, lässt sie sich scheiden und zieht mit den Kindern nach Berlin.
Kehrtwende mit Konsequenzen
Seit dem im April ‘68 verübtem Attentat auf den Studentenanführer Rudi Dutschke, der ein enger Freund von ihr war, geht in ihr eine starke Wandlung vor. Sie wird zunehmend radikaler und kompromissloser. Am 14. Mai 1970 ist sie schließlich an der Planung und gewaltsamen Befreiung des Häftlings Andreas Baader, dem Anführer der nun gegründeten RAF beteiligt und geht danach, von der Polizei gefahndet, in den Untergrund. Dann verübt sie sie gemeinsam mit den anderen Mitgliedern mehrere Banküberfälle und Bombenanschläge, bei denen es zahlreiche Opfer gibt. Ein Ausstieg und die Rückkehr in ein „normales“ Leben scheinen zu diesem Zeitpunkt kaum noch möglich.
„Ich könnte meine Kinder niemals verlassen!“
Als Journalistin unter den Terroristen schreibt sie die Bekennerschreiben und drei Kampfschriften der RAF, die den bewaffneten Kampf hintergründig beleuchten sollen. Im Sommer des gleichen Jahres macht sie eine militärische Ausbildung in einem Palästinensercamp im Nahen Osten. Ihre Töchter befinden sich derweil auf Sizilien. Trotz ihrer Illegalität möchte Ulrike Meinhof nicht, dass sie beim Vater Klaus Rainer Röhl aufwachsen. Sie soll schließlich eingewilligt haben, sie in ein palästinensisches Waisenlager zu schicken, wozu es allerdings nicht gekommen ist.
Festnahme, Haft und Prozess
1972 wird Ulrike Meinhof in Hannover festgenommen, wobei sie sich laut Protokoll vehement wehrt und hemmungslos weint. In der Justizvollzugsanstalt Köln verbringt sie zwei Jahre in vollkommener akustischer Isolation. Aus dieser Zeit: „Das Gefühl es explodiert einem der Kopf (...) Satzbau, Grammatik, Syntax nicht mehr zu kontrollieren, (...) Klares Bewusstsein, dass man keine Überlebenschance hat; völliges Scheitern, das zu vermitteln; Besuche hinterlassen nichts (...) Einmal in der Woche baden dagegen bedeutet: auftauen, erholen.“ Die Isolationshaft nagt an ihrem Verstand, den sie mit dem Schreiben zu retten versucht.
1974 wird der harte Kern der Baader-Meinhof Gruppe, auch Ulrike Meinhof, wegen eines Sprengstoffattentates auf den Axel Springer Verlag in Hamburg zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und muss im Hochsicherheitstrakt der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim einsitzen. Mit der Forderung für bessere Haftbedingungen tritt Ulrike Meinhof dort zweimal in den Hungerstreik.
Einsicht und Reue?
In Stammheim entstehen in der Gruppe nach und nach Spannungen. Ulrike Meinhof scheint sich zu distanzieren, zeigt das auch im Prozess „ Wie soll ein isolierter Gefangener den Justizbehörden zu
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erkennen geben- angenommen, dass er es wollte-, dass er sein Verhalten geändert hat? Wie? (...) Dem Gefangenen in der Isolation bleibt, (...) überhaupt nur eine Möglichkeit und das ist der Verrat.“ Als nun von Gudrun Ensslin bezeichnetes „Messer im Rücken der RAF“ wird sie von den anderen Häftlingen verachtet. An dieser Position in der Gruppe scheint sie zu zerbrechen. Sie gehört zum Innersten Kreis und steht doch abseits. Ein vollkommenes Zerwürfnis, dass sich auch in den Botschaften der Gefangenen, die nach draußen geschmuggelt werden, widerspiegelt. Sie ist der Feind inmitten der Staatsfeinde. Andreas Baader an Ulrike Meinhof „ Also Hass- mach dir doch nichts vor: Du hasst uns- dafür gibt es einen Sack Signale, der dann natürlich einfach so lässig in den bestimmenden Momenten Passivität, Sich-Entziehen, ‘ne kaputte Grammatik, kaputte Inhalte, Zerstörung, Missverständnis produziert usw. (...) Also halt die Fresse, bis du was verändert hast oder geh endlich zum Teufel...“
Suizid oder Mord
Am 9. Mai 1976 wird ihre Leiche, mit einem Handtuchstreifen erhängt, aufgefunden. Zwei Gutachten bestätigen Selbstmord, eine Internationale Untersuchungskommission kommt zu dem Ergebnis, dass der Körper bereits leblos war, als er aufgehängt wurde. Die RAF selbst spricht von einer gezielten „Hinrichtung“ Ulrike Meinhofs seiten des Staates. Trotz dieser Widersprüchlichkeit gibt es keine weiteren Ermittlungen und der Fall wird als Suizid von den Behörden zu den Akten gelegt.
Ulrike Meinhof und die RAF als Mythos?
Heute, viele Jahre nach dem Deutschen Herbst und der Abschiedserklärung der RAF (1998) ist es schwierig geworden, sich ein Bild aus mehreren Perspektiven und erst recht eine Meinung zu bilden. Ehemalige Militante sitzen immer noch in Haft, sind inzwischen verstorben oder wollen einfach nicht mehr über die Zeit von damals reden. Selbst die Literatur, gespickt mit Aussagen von Zeitzeugen, widerspricht sich in vielen Punkten. Was zurück bleibt sind nur noch Mythen von Persönlichkeiten und Geschehnissen, deren Wahrheitsgehalt nicht mehr überprüft werden kann, weil der Staat von jahrzehntelangem Terror gezeichnet damals einfach nicht mehr ermitteln wollte und konnte.
Melanie Schäfer, ZeusPower-Reporterin Essen