Essen. Wenn ein Elternteil schwer erkrankt, stellt es das ganze Familienleben auf den Kopf. Ein Projekt der Kliniken Essen-Mitte hilft Familien, so gut wie möglich mit der neuen Situation zurechtzukommen.

Was tun, wenn Mama oder Papa plötzlich sehr krank wird oder sogar stirbt? Wie soll das Leben weitergehen? Das fragen sich sicher viele Kinder und Jugendliche und auch Eltern, deren Partner ganz unerwartet von einer schweren Erkrankung betroffen sind. Alle Familienmitglieder müssen versuchen, so gut wie möglich mit der neuen Situation zu Recht zu kommen.

Allein die Neuorganisation des Alltags stellt hierbei häufig eine Herausforderung dar, weil der erkrankte Elternteil nicht mehr wie üblich einkauft, kocht, oder die Kinder zum Sport oder Musikunterricht fährt. Besonders Kinder und Jugendliche verändern dadurch ihr Verhalten deutlich und ziehen sich oftmals zurück. Wenn der erkrankte Elternteil immer schwächer und kränker wird, stellen sich außerdem noch weitere Fragen: Wann sollte man dem Kind sagen, dass Mama beziehungsweise Papa nie wieder gesund, sondern sogar sterben wird? Kann und soll mit Kindern offen über den Tod gesprochen werden? Dann kann professionelle Hilfe diesen Kindern und Jugendlichen helfen, sich selbst nicht zu verlieren und sich in ihrem eigenen Tempo und nach ihren Möglichkeiten mit der Situation auseinanderzusetzen. Für die Eltern gibt es Tipps und Orientierungshilfen, wann und wie mit dem Kind gesprochen werden sollte.

Das Miteinander stärken

All dies leistet zum Beispiel das Projekt „Schwere Last von kleinen Schultern nehmen“ des gemeinnützigen Vereins Menschenmögliches e.V. an den Kliniken Essen-Mitte, das durch Spenden finanziert wird. Das Projekt wird von den zwei Heilpädagoginnen Barbara Defren und Kirsten Becker betreut und bietet die Möglichkeit, Familien einmalig zu beraten oder auch über mehrere Wochen und Monate durch diese schwierige Zeit zu begleiten. Angeboten werden zum Beispiel Elterngespräche oder Familiengespräche. Für die Familie gilt es, gemeinsam ein stützendes Miteinander zu stärken und weiter zu entwickeln. Außerdem können hier offene Fragen zum Gespräch mit dem Kind beantwortet werden. Zudem gibt es Einzelangebote für Kinder und Jugendliche von 0 bis 18 Jahren. So sollen die Betroffenen die Möglichkeit haben, ihre Gefühle zu äußern und außerdem darin unterstützt werden, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht komplett der Erkrankung unterordnen zu müssen. Für den Fall, dass der Elternteil an der schweren Erkrankung tatsächlich stirbt, hilft das Projekt den Betroffenen, einen Weg zurück ins Leben zu finden – ohne Mama oder Papa.

Im Interview erzählt eine der beiden Heilpädagoginnen, Babara Defren, von der Entstehung des Projektes und von ihrer Arbeit dort.

Wann ist das Projekt „Schwere Last von kleinen Schultern nehmen“ entstanden?

Barbara Defren: Das Projekt wurde 2011 durch Dr. Marianne Kloke auf der Palliativstation der Kliniken Essen-Mitte ins Leben gerufen. 2012 stieg der Verein „Menschenmögliches“ mit ein und fördert das Projekt „Schwere Last von kleinen Schultern nehmen“, das Familien im Fall einer schweren Erkrankung eines Elternteils unterstützt – bis heute.

Aus welchem „Anlass“ heraus wurde das Projekt ins Leben gerufen?

Dr. Marianne Kloke stellte 2011 auf der Palliativstation fest, dass Kinder mit schwer erkrankten oder sterbenden Eltern oftmals mit ihren Sorgen, Ängsten und Nöten ganz alleine sind. Sie fand es wichtig, dass die Familien schon in der Klinik Unterstützung erhalten.

Wie kommen die betroffenen Eltern mit dem Projekt in Kontakt?

Schon auf der Station erfahren die Eltern durch Schwestern, Pfleger oder Ärzte von dem Projekt und nehmen entweder selbständig oder durch die genannten Mitarbeiter Kontakt zu unserem Projekt auf. Manchmal rufen auch Eltern im Familienzimmer an und wünschen sich Unterstützung.

Inwiefern können Kinder und Jugendliche in dieser herausfordernden Situation einer schweren Erkrankung eines Elternteils unterstützt werden?

Man kann schon ganz kleinen Kindern bis hin zu Jugendlichen Unterstützung durch Spiele, kreative Ansätze (zum Beispiel: Malen, Basteln, Geschichten erfinden) und Gespräche geben, um ihren Sorgen und Ängsten begegnen zu können. Für die Kinder ist es wichtig, zu lernen, wie sie offen und ehrlich mit der Erkrankung oder dem Sterben ihrer Mama oder ihres Papas umgehen können.

Wo findet so eine Beratung dann statt?

Mit meiner Kollegin und mir treffen sich die Kinder und Eltern entweder im Familienzimmer oder auch zu Hause. Manchmal, wenn ein Elternteil auf einer Station im Krankenhaus liegt, werden die Kinder auch dort betreut. Da das Familienzimmer direkt bei der Klinik liegt, kann man auch während des Stationsaufenthaltes dieses Familienzimmer für die Eltern und Kinder nutzen. Wichtig für die Kinder ist es, dass auch die ganze Familie mitbetreut wird.

Was für Themen haben Kinder, wenn sie zu dem Projekt kommen?

Die Kinder und Jugendlichen haben Fragen zu der Erkrankung und wie das jetzt so alles mit Mama und Papa wird. Sie haben Ängste und große Sorgen, manchmal sind sie wütend oder zornig, dass ausgerechnet ihre Mama beziehungsweise ihr Papa krank geworden ist oder sterben muss. Oft sind sie vor allem traurig, einsam, unsicher und suchen nach Antworten und Lösungen.

Was genau ist eigentlich die Aufgabe einer Heilpädagogin?

Heilpädagogen arbeiten fast immer mit Menschen in besonderen Lebenssituationen. Dies können die Frühförderstellen mit behinderten Kindern in integrativen Kindergärten oder in sozialpädiatrischen Zentren oder wie hier im Projekt sein.

Wie viele Kinder wurden seit Beginn des Projektes ungefähr betreut?

Das Projekt wächst von Jahr zu Jahr. 2013 waren es 39 und im Jahr 2014 sogar 138 Kinder, deren Eltern auf den Stationen der Kliniken Essen-Mitte lagen.

Gibt es noch ähnliche Angebote dieser Art?

Das Projekt ist in Essen einmalig, da es Familien in der Phase der Ersterkrankung, des Rezidivs (Wiederauftreten der Krankheit), in der Phase des Sterbens und in der Zeit nach dem Tod begleitet.


Anna Grundmeier, 8a, Burggymnasium, Essen