Essen. . CDU und FDP wollen den Streit ums Turbo-Abi beilegen. Sicher ist bereits: Die Rückkehr zur neunjährigen Gymnasialzeit wird aufwändig und teuer.

Die Zeit der Unruhe soll bald enden, verspricht die schwarz-gelbe Koalition. Mit der Rückkehr zur neunjährigen Schulzeit bis zum Abitur könne die leidige Debatte um das Turbo-Abi endlich abgehakt werden und der wieder Schulfrieden einkehren. Doch diese Hoffnung könnte trügerisch sein, denn die Gymnasien befürchten eine neue hektische Zeit der Umstrukturierung. Zudem sind viele wichtige Fragen offen. Ein Überblick:

Wen betrifft die Rückkehr zu G 9?

Kinder, die zum Schuljahr 2019/20 aufs Gymnasium wechseln, sollen in der Regel wieder nach 13 Jahren die Abiturprüfung ablegen. Für alle übrigen Gymnasiasten ändert sich vorerst nichts, sie verlassen die Schule wie geplant nach zwölf Jahren. G 8 soll jedoch insgesamt durch mehr Lehrer und kleinere Klassen im Zuge eines „Stärkungspakts Gymnasium“ besser werden. Man könne nicht „auf der Autobahn die Reifen wechseln“ und mitten in der Gymnasialzeit vollständig auf G 9 wechseln, sagte FDP-Chef Christian Lindner.

Wer entscheidet, welches Gymnasium bei G 8 bleibt?

Für die Wiedereinführung von G 9 an den landesweit 630 Gymnasien soll nach Vorstellung des absehbar künftigen Ministerpräsidenten Armin Laschet gelten: „Wenn man still bleibt, kommt es.“ Will eine Schule jedoch im Sommer 2019 ausdrücklich nicht wieder zu G 9 zurückkehren, müssen Schulkonferenz (Vertreter von Lehrern, Eltern und Schülern) und Schulträger (Kommune, Kirche) aktiv eine Ausnahmeoption ziehen. Dafür müsste sich zunächst lokal der Wille artikulieren, bei G 8 zu bleiben. In welchem Gremium (Schulkonferenz und/oder Stadtrat) dann mit welchen Mehrheiten votiert werden muss, wollen CDU und FDP noch festlegen.

Ist eine Entscheidung für G 8 endgültig?

Schulen, die ausdrücklich nicht zu G 9 zurückkehren wollen, sollen dauerhaft als G 8-Gymnasien fortgeführt werden. Das heißt: Die aktuelle Schulkonferenz trifft in Abstimmung mit dem Schulträger eine Entscheidung auch für nachfolgende Schülergenerationen. Dadurch soll ein G 8/G 9-Wechselspiel je nach Stimmungslage in den Gremien verhindert werden. Laschet geht davon aus, dass es nur in Großstädten attraktiv sein dürfte, ein oder zwei Gymnasien gezielt mit dem Schulprofil G 8 weiterhin anzubieten.

Bis wann muss die Entscheidung fallen?

Eine neue schwarz-gelbe Landesregierung muss die Schulreform wahrscheinlich noch in diesem Jahr, spätestens Anfang 2018 auf den Weg bringen. Bis Herbst 2018, wenn die Gymnasien ihre Informations- und Anmeldephase für Grundschüler zum Schuljahr 2019/20 planen, soll Klarheit herrschen, welcher Standort bei G 8 verbleibt.

Warum bleibt G 8 nicht Regelfall und G 9 nur Ausnahmeoption?

Rot-Grün hatte 2010 den Gymnasien einmalig freigestellt, per Abstimmung in den Schulkonferenzen zu G 9 zurückzukehren. Nur landesweit ein gutes Dutzend Schulen machte davon Gebrauch – nicht zuletzt weil in der Schulkonferenz Lehrer und eher ambitionierte Eltern den Ton angeben. Die Unzufriedenheit vieler Eltern und Schüler mit dem „Turbo-Abitur“ aber blieb bestehen. Laschets Kalkül: Nur wo G 8 exzellent funktioniert und auf breite Akzeptanz stößt, wird man sich für die Ausnahme von der G 9-Regel einsetzen.

Was bedeutet G 9 für den Ganztag an Gymnasien?

Die Tagesstruktur an Ganztagsgymnasien soll mit der G 9-Rückkehr nicht in Frage gestellt werden. Vertiefungs- und Neigungsstunden am Nachmittag sollen trotz der erwarteten Entzerrung des Stundenplans weiterhin angeboten und vom Land gefördert werden. Allerdings wollen CDU und FDP auch das klassische Halbtagsgymnasium alter Prägung wieder möglich machen. Experten sehen in dieser Klausel das mögliche Ende des gebundenen Ganztags an Gymnasien. Lehrerverbände fordern indes, dass die Ganztagsangebote an Gymnasien weiter ausgebaut werden müssten.

Welche Kosten sind zu erwarten?

Darüber kann man nur spekulieren. Sicher ist, dass Hunderte zusätzliche Lehrer benötigt werden. Zudem muss Platz geschaffen werden. Für eine Jahrgangsstufe mehr benötigt ein Gymnasium mindestens drei bis vier neue Klassenräume. Auf eine Stadt wie Essen mit 21 Gymnasien hochgerechnet, wären das etwa 60 bis 80 zusätzliche Räume. Die Kosten für die Kommunen dürften erheblich sein. Einen Anhaltspunkt bietet Bayern: Hier investiert das Land vor der Einführung von G 9 bis zum Jahr 2025 rund 870 Millionen Euro. 500 Millionen Euro sind nur für Baumaßnahmen vorgesehen. 1000 Stellen an Gymnasien sind geplant. In Bayern gibt es rund 200 Gymnasien weniger als in NRW.

Was sagt der Bildungsexperte?

Der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm hält die Rückkehr zu G 9 für falsch. „Nachdem G 8 an den Schulen eingeführt ist, die Lehrpläne angepasst wurden und sich die Situation stabilisiert hat, ist die Rolle rückwärts eine abenteuerliche Entscheidung“, sagte Klemm. Alle empirischen Studien hätten gezeigt, dass G 8-Schüler nicht schlechter auf das Studium vorbereitet und nicht gestresster seien als G 9-Abiturienten. Es gebe wichtigere Probleme als eine komplizierte Schulzeitreform, etwa die Inklusion oder die Digitalisierung.