Duisburg. Die 14-jährige Bvsi R. ist am Montag abgeschoben worden. Über die Art und Weise des Vorgangs diskutieren Mitschüler und die Verwaltung.

Diesen Montag, den 29. Mai 2017, wird Bivsi R. vermutlich ihr Leben lang nicht vergessen: Die 14-jährige Duisburgerin, deren Eltern aus Nepal stammen und in Deutschland seit Jahren um Asyl nachfragen, sitzt entspannt in der Klasse 9d des Steinbart-Gymnasiums in Duisburg und hört dem Lehrer zu. Was Bivsi und ihre Eltern, die Freunde und Lehrer an der Schule nicht wissen: Die Zentrale Stelle des Landes Nordrhein-Westfalen für Flugabschiebungen, mit Sitz in Bielefeld, hat für Bivsi und ihre Eltern an diesem Montagnachmittag eine Flug-Abschiebung nach Nepal organisiert.

Obwohl alles nach Recht und Gesetz abläuft, obwohl niemand hässlich und gemein handelt, wird diese Abschiebung für die 14-Jährige und ihre Freunde und Freundinnen in der Klasse 9d zu einem traumatischen Ereignis, das am Ende sogar ein alarmierter Notarzt und ein Religionslehrer als Seelsorger heilen müssen.

„Wie weg, wohin soll ich denn?“

Was war geschehen? Ralf Buchthal, Leiter des Steinbart-Gymnasiums, bekommt an diesem Montagmorgen einen Anruf von der Ausländerbehörde der Stadt: Es kämen gleich zwei Herren und holen Bivsi R. aus dem Unterricht zur Abschiebung ab. Kaum den Hörer aufgelegt, stehen die Herren in der Schule, freundlich, korrekt, zielstrebig.

Er, der Schulleiter und ein Kollege, so berichtet Buchthal, holen dann also wie geheißen das Mädchen aus der Klasse. Im Schulleiterzimmer erfährt es den Grund: Ein langwieriges Verfahren um Asyl und Aufenthalt der Eltern sei nun endgültig beendet. Es sei juristisch komplett abgeschlossen, deshalb müssen sie und ihre Eltern heute das Land in Richtung Nepal verlassen. Alles sei vorbereitet.

Bivsi, so der Schulleiter, sei darauf in Tränen ausgebrochen. „Wie weg, wohin soll ich denn?“, fragte sie völlig verstört. Ist sie ahnungslos? Möglicherweise war sie über den drohenden Stand der Dinge von ihren Eltern im Unklaren gelassen. Schnell werden noch zwei beste Freundinnen ins Lehrerzimmer geholt, damit sich Bivsi wenigstens irgendwie von der Klasse 9d verabschieden kann.

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    „Schule muss ein Schutzraum für Kinder sein.“

    Als Bivsi dann fort war und die Klasse erfährt, dass sie nicht mehr wieder komme, so berichtet Buchthal, seien die Reaktionen sehr emotional geworden. Tränen, Schock, Wut. „Wir mussten am Ende sogar einen Arzt rufen und haben auch unseren Pfarrer und Religionslehrer als helfenden Seelsorger in diese Klasse geschickt.“

    Er selber ist zornig: „Schule muss ein Schutzraum für Kinder sein! Niemand darf hier solch ein emotionales Trümmerfeld anrichten,“ sagt er. Zudem sei das Mädchen perfekt integriert gewesen, spreche lupenreines Deutsch. Die Eltern sind im Jahr 1998 aus Nepal nach Duisburg geflohen, haben hier zwei Kinder bekommen, der 18 Jahre alte Bruder von Bivsi, Student in Osnabrück ist von der Abschiebung unberührt. Bivsis Vater führte in Düsseldorf ein Sushi-Restaurant, das seine Kundschaft fand. Er hat Steuern gezahlt.

    „Juristisch gab es für die Stadt keine Alternative mehr“

    Doch der Grund in Deutschland um Asyl zu bitten, sagte Daniela Lesmeister, Rechtsdezernentin der Stadt, sei auch nach vielen Jahren des Aufenthalts von keiner einzigen Instanz anerkannt worden. Lesmeister: Nach dem Bundesamt für Migration haben dann noch ein Verwaltungsgericht und ein Oberverwaltungsgericht die Asyl-Anträge der Familie abgelehnt. Ebenso dann auch die angerufene Härtefall-Kommission des Landes NRW. Lesmeister: „Juristisch gab es für die Stadt keine Alternative mehr. “

    Aber musste man ein Mädchen sechs Wochen vor den Schulferien aus dem Unterricht holen, um es ohne geordneten Abschied von Freunden und ohne einen Schulabschluss dann mit den Eltern abzuschieben, die 19 Jahre lang ein Asylverfahren geführt haben?

    „Mir geht es gut, macht Euch keine Sorgen“

    Abschiebungen, so die Juristin der Stadt, dürften nicht angekündigt werden, müssten tagsüber stattfinden und würden am Ende gar nicht von der Stadt organisiert. „Und wir versuchen immer, Härten zu vermeiden! Aber im Lichte dieses Falles werden wir jetzt noch einmal unsere internen Abläufe genau überprüfen, um zu schauen wo Spielräume sind!“

    Mit etwas mehr Spielraum hätte man das Mädchen den Schulabschluss der Klasse 9 machen lassen können. Gerüchte, dass sie als dann 15-Jährige vor einer Abscheibung sicher gewesen wäre, verneint indes die Rechtsdezernentin klipp und klar.

    Die Schule, so berichtet Steinbart-Schulleiter Ralf Buchthal, werde versuchen, ihr wenigstrens den Schulabschluss zu bestätigen. Die Eltern und Klassenkameraden, so sagt die Schülermutter Christiane Gradel, wollen wohl einen Versuch unternehmen, Bivsi wieder nach Duisburg zu bekommen.

    Die hat sich unterdessen aus Kathmandu per SMS bei ihren Freudinnen gemeldet: „Mir geht es gut. Macht euch keine Sorgen,“ schreibt sie und ermahnt die Duisburger Mädels: „Konzentriert euch auf die Klassenarbeit, die jetzt kommt!“

    Dieser Text ist zuerst auf www.waz.de erschienen.