Berlin. Viele Andeutungen, wenig Konkretes. Die Pressekonferenz von Günter Lubitz warf kein wirklich neues Licht auf den Germanwings-Absturz.
- Auf einer Pressekonferenz hat Günter Lubitz ein Gutachten zum Germanwings-Absturz vorgestellt
- In dem Gutachten werden Fehler der Ermittlungsbehörden aufgelistet
- Eine Alternative zur Täterschaft Lubitz’ gibt es jedoch nicht
Es ist der Streit um die Deutungshoheit über einen der spektakulärsten Unfälle in der Geschichte der bundesdeutschen Luftfahrt – den Absturz der Germanwings-Maschine am 24. März 2015 in Frankreich mit 150 Toten.
Auf der einen Seite: Günter Lubitz, Vater des Copiloten Andreas Lubitz, der den Airbus in selbstmörderischer Absicht in die Tiefe gesteuert haben soll – Lubitz verteidigt seinen toten Sohn gegen diesen Vorwurf.
Und auf der anderen Seite: Die Ermittler in dem Fall sowie die Angehörigen der 149 anderen Toten – sie sehen den Copiloten klar als Verursacher der Katastrophe und halten Lubitz` Äußerungen für „geschmacklos“.
Vater: Mein Sohn ist kein Massenmörder
Flankiert durch ein großes Vorab-Interview in der „Zeit“, hatte Vater Günter Lubitz für diesen Freitag eine Pressekonferenz anberaumt, auf der er seine Sicht der Dinge präsentierte. Lubitz möchte das Bild seines Sohnes als „Massenmörder“ korrigieren. Er sagte: „Er war ein sehr verantwortungsvoller Mensch. Ein solches Verhalten passt einfach nicht zu ihm und seiner Persönlichkeit.“ Am Freitagmittag legte Lubitz zusammen mit dem von ihm als Gutachter beauftragten Journalisten Tim van Beveren in einem Berliner Hotel nach. Auf ein Wort der Anteilnahme für die Angehörigen der Opfer wartete man vergebens.
Lubitz, aber vor allem van Beveren legten einen langen, aber in vielen Punkten nicht immer konkreten Katalog von Punkten vor, die seiner Ansicht zumindest Zweifel an der Täterschaft von Andreas Lubitz nähren sollen. Wir stellen die Aussagen in den wichtigsten Kritikpunkten gegenüber:
• Die Erkrankung des Copiloten
Günter Lubitz sagt: „Wir müssen damit leben, dass unser Sohn in den Medien als dauerdepressiv dargestellt wird.“ Tatsache sei aber, dass er nur „2008/2009 an Depressionen litt“. Diese habe er dann „überwunden“. Andreas Lubitz habe zuletzt nur über Sehstörungen geklagt. Weil Ärzte keine organische Ursache dafür ausmachen konnten, seien die Symptone mit Antidepressiva behandelt worden, so die Aussage im Namen der Familie. Und: „Unser Sohn war zum Zeitpunkt des Absturzes nicht depressiv.“
Die Ermittler sagen: „Das haben wir auch nie behauptet.“ Laut dem Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph Kumpa ist Copilot Lubitz den Ermittlungen zufolge 2009 erfolgreich behandelt worden. Und im Abschlussbericht der Ermittler steht: „Im Februar 2015 diagnostizierte ein privater Arzt, dass die Sehstörungen und Schlafprobleme, an denen der Copilot litt, mit einer psychosomatischen Störung und einer Angststörung zusammenhingen und überwies ihn an eine Psychotherapeuten und Psychiater. Am 10. März 2015 diagnostizierte der gleiche Arzt eine mögliche Psychose und empfahl ihm eine Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Im Februar und März 2015 verschrieb ein Psychiater antidepressiv wirkende und schlaffördernde Medikamente.“
Nach der Pressekonferenz äußerte sich die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft erneut: „Er (Andreas Lubitz, Anm. d. Redaktion) litt seit Monaten unter Schlaflosigkeit, hatte Angst um sein Augenlicht, war verzweifelt“, sagte Staatsanwalt Christoph Kumpa. Gesichert festgestellt sei auch, dass Lubitz, der aufgrund seiner psychischen Probleme krankgeschrieben und in eine psychiatrische Klinik überwiesen worden war, kurz vor dem Abflug eine Patientenverfügung ausgestellt hat. Eine Woche vor dem Absturz habe er sich – ausweislich der Auswertung seines Tablet-Computers – über Suizidmöglichkeiten informiert, außerdem über das Schließsystem der Cockpit-Tür.
• Wer saß beim Absturz im Cockpit?
Tim van Beveren sagt: Die Aufnahmen der Stimmrekorder hätten zu Beginn der Ermittlungen nur ergeben, dass Andreas Lubitz kurz vor dem Aufprall der Germanwings-Maschine zwar geatmet habe, jedoch nicht, ob er auch bei Bewusstsein gewesen sei. Daran, dass Lubitz zum Zeitpunkt des Absturzes allein im Cockpit war, zweifelt aber auch er nicht. Er kritisiert aber, dass sich der französische Staatsanwalt Brice Robin schon zwei Tage nach dem Absturz auf Lubitz als Täter festgelegt habe.
Die Ermittler sagen: Im Abschlussbericht der Ermittler heißt es: „Während der Reiseflugphase des Unfallflugs wartete der Copilot so lange, bis er alleine im Cockpit war. Er hat dann die Einstellungen des Autopiloten bewusst so verändert, dass das Flugzeug in den Sinkflug bis zum Grund ging. Er hatte diese Einstellungen am Autopiloten während des vorangegangen Fluges, als er alleine im Cockpit war, geprobt.“ Laut der Einstellungsverfügung des Staatsanwalts ist „angesichts der bis zuletzt vom Co-Piloten durchgeführten Manöver“ festzustellen, „dass dieser bis zum Aufschlag der Maschine gelebt hat und bei Bewusstsein war“.
• Die verriegelte Cockpit-Tür
Tim van Beveren sagt: Es könnte schon vor dem letzten Flug der Unglücksmaschine Probleme mit der Cockpit-Verriegelung gegeben haben. Er habe Informationen erhalten, dass sich eine Crew dieses Jets einmal selbst ausgesperrt habe. Er habe dies den Behörden auch mitgeteilt: „Es ist nicht untersucht worden.“
Das sagen die Ermittler: „Während des Sinkfluges ließ er (Lubitz, Red.) … die Cockpittür verriegelt. Er reagierte weder auf die Funksprüche der zivilen und militärischen Flugverkehrskontrollstellen noch auf das Klopfen an der Tür. Da die Cockpittür aufgrund von Sicherheitsanforderungen so konstruiert war, dass ein gewaltsames Eindringen unberechtigter Personen verhindert wird, war es unmöglich in das Cockpit zu gelangen, bevor das Flugzeug mit dem Gelände der französischen Alpen kollidierte.“
• Das Wetter zur Unglückszeit
Tim van Beveren sagt: Während der Unglückszeit hätten es im Luftraum, den die Unglücksmaschine durchflog, einen „außergewöhnlichen Jetstream“ und „Turbulenzen“ gegeben, außerdem „extreme Starkwindströme“, die ein Flugzeug belasten könnten.
Die Ermittler sagen: „Die Informationen, die Météo France zur Verfügung gestellt hat, zeigen, dass in Flugfläche FL380 das Flugzeug im wolkenlosen Himmel über einzelnen Cirren flog. Es gab keine Konvektion (vertikale Luftbewegung, Red.) und der Südostwind war schwach.“
Insgesamt gehen die Ermittler von einer absichtlichen Tat und einem Alleinverschulden des Copiloten aus. Nach Überzeugung der Ermittler hatte der psychisch kranke Copilot die Maschine allerdings absichtlich am 24. März 2015 gegen ein Bergmassiv in den französischen See-Alpen fliegen lassen.
„Es gibt keine Anhaltspunkte für eine Absturzursache, die nicht auf absichtliches – mutmaßlich suizidales – Verhalten zurückzuführen ist“, bekräftigte Kumpa seine Ermittlungsergebnisse. Kumpa im Gespräch mit unserer Redaktion: „Nach einer Gesamtbeurteilung sämtlicher Indizien gibt es für die Staatsanwaltschaft keine vernünftigen Zweifel an der bisher kommunizierten Annahme der Verantwortung.“ Auch die deutschen Flugunfallexperten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) halten auch nach Kritik weiterhin an der offiziellen Ursache des Germanwings-Unglücks 2015 fest.
Opferanwalt kritisiert Auftritt des Vaters
Der Berliner Opferanwalt Elmar Giemulla hatte den Lubitz-Auftritt vorab scharf kritisiert. „Ich finde das sehr schlimm“, sagte er. „Sich genau auf die Sekunde zu dem Zeitpunkt äußern zu wollen, an dem vor zwei Jahren die Maschine abgestürzt ist, das ist unverantwortlich. Aus Sicht der Opfer ist das geschmacklos und dürfte für viele von ihnen belastend sein.“ Er vermute, „dass Herr Lubitz eine Theorie verbreiten möchte, die seinen Sohn freispricht von jeglicher Schuld“, sagte Giemulla. Für diesen Freitag war auch geplant, am Absturzort in Frankreich bei einer erneuten Trauerfeier ein Mahnmal zu enthüllen. Viele Angehörige wollten dorthin reisen.
Die Germanwings-Muttergesellschaft Lufthansa hatte ein Treffen der Angehörigen in Le Vernet in der Nähe der Absturzstelle organisiert. Auch im westfälischen Haltern sollte es eine Gedenkfeier geben - unter den Toten waren auch 16 Schüler und zwei Lehrerinnen des Halterner Joseph-König-Gymnasiums. Sie waren auf dem Rückflug von einem Schüleraustausch in Spanien gewesen. (mit Material von dpa)