Witten. Nina Jäckel (47) pflegte erst eine Fremde, dann ihre Schwiegermutter. Nun startet sie ein Projekt zu Weihnachten in Wittener Seniorenheimen.
Dass Familie und Freunde ältere Menschen pflegen, ist essenziell, um das Gesundheitssystem zu entlasten. Fast zwei Jahre kümmert sich Nina Jäckel (47) aus Witten um die kranke Mutter eines verstorbenen Bekannten. Was als spontane „Nachbarschaftshilfe“ begann, entwickelt sich zu einer Lebensaufgabe. Heute pflegt sie ihre Schwiegermutter. Doch damit nicht genug. Nun will sie auch anderen etwas zurückgeben und plant eine Weihnachtsaktion in Wittener Pflegeheimen.
Laut Statistischem Bundesamt waren 2021 mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Etwa 84 Prozent der Pflege übernehmen Angehörige und Freunde – meist im Zuhause der Betroffenen. Doch nicht immer sind die Pflegenden enge Bekannte oder Familie: Nina Jäckel hat eine Frau gepflegt, die sie kaum kannte. Selbstverständlich ist das nicht, doch für sie ist klar: „Man lässt einen Menschen nicht einfach hängen.“
Aus Hundebekanntschaft wird jahrelange Pflege
Nina Jäckel lernt Thomas, einen Nachbarn, beim Gassigehen kennen. Als er krank wird, führt sie seinen Hund aus. Das macht sie auch weiter, als der Bekannte stirbt. Noch vor seinem Tod lernt sie seine schwerkranke Mutter Heidi kennen, die Krebs im Endstadium hat. Die 47-Jährige begleitet die Rentnerin zur Beerdigung ihres Sohnes und durch ihre Trauer, hört sich stundenlang ihre Geschichten über frühere Zeiten an, hilft bei Arztbesuchen und Pflegeanträgen – zunächst in ihrer Wohnung, dann im Pflegeheim. „In so einer Situation“, betont sie, „kann man einen Menschen nicht alleine lassen.“
Warum unterstützt sie eine fremde Frau? „Das ist für mich Nachbarschaftshilfe. Ich finde, man sollte für andere Menschen da sein und nicht wegschauen.“ Dabei sei sie selber krank, beziehe Erwerbsminderungsrente. Als sich Heidis Zustand drastisch verschlechtert, besucht Jäckel sie auch im Krankenhaus. „Sie hatte niemanden. Ich habe ihr versprochen, dass sie nicht alleine sterben wird.“ Und so bleibt die Pflegerin bis zum letzten Atemzug an ihrer Seite. „Ich habe heute noch daran zu knabbern“, sagt die 47-Jährige mit Tränen in den Augen.
+++Folgen Sie jetzt auch dem Instagram-Account der WAZ Witten+++
Pflege in der Familie: Nina Jäckel kümmert sich um ihre Schwiegermutter
Kurz darauf stirbt auch der Vater ihres Mannes. Ihre Schwiegermutter, die sie liebevoll „Mama“ nennt, erleidet daraufhin ihren ersten Demenzschub. Zunächst nimmt die Familie es mit Humor, wenn die Rentnerin etwas vergisst. Dann wird es immer häufiger, ebenso Aussagen wie: „Mama, das habe ich dir vor einer Stunde schon erzählt.“
Mehr Nachrichten aus Witten
- Unruhe bei Pilkington in Witten: Stellenabbau angekündigt
- Wittenerin ärgert sich über Baustelle: „Kein Durchkommen“
- Weihnachtsmarkt in Witten: Eisstockschießen kehrt zurück
Mittlerweile sei die Demenz fortgeschritten. „Sie hat Probleme mit ihrem Kurzzeitgedächtnis, spricht viel über die Vergangenheit und vergisst aktuelle Ereignisse.“ Um die Seniorin im Alltag zu unterstützen, hängen überall Zettel als Gedächtnisstütze in der Wohnung, die an die Tagesroutine und die Essenseinnahme erinnern. „Sie ist es wert, dass wir uns um sie kümmern.“
Ob Duschen, Putzen, Einkaufen oder Wäschewaschen, zusammen mit ihrem Mann und seinen Geschwistern pflegt und versorgt sie die Mama. „Ich bin sechs Tage die Woche bei ihr.“ Gemeinsam versuchen sie, schöne Erlebnisse zu schaffen, „auch wenn sie sich nicht an vieles erinnern wird“. Die Schwiegermutter stehe auf der Warteliste für ein Pflegeheim, dem gleichen, in dem auch Heidi war. „Solange es ihr zuhause gut geht, bleibt sie dort“, betont Jäckel aber.
Auch interessant
Spendenaktion: Schokoladen-Tüten zu Weihnachten verteilen
Nun plant Jäckel am vierten Advent (22.12.) Überraschungstüten in Seniorenheimen in Witten zu verteilen. Eine Begegnung inspiriert sie dazu: Vor einem örtlichen Supermarkt trifft sie eine ältere Dame, hilft ihr beim Einkauf und bringt sie nach Hause. Eine Woche später werde sie 90, Verwandte habe sie keine, Mann und Sohn seien verstorben. Diese bringt an dem Geburtstag der Frau Blumen und Kuchen vorbei. „Ich habe die Sachen vor der Tür abgestellt und einen Zettel mit Glückwünschen hinterlassen.“ Wenige Tage später erhält sie einen Anruf. „Die Frau hat im ganzen Stadtteil herumgefragt, wer ich bin.“ Zweimal haben sie seitdem telefoniert, ein Treffen steht bald an. „Sie wollte einfach nur mit jemandem reden.“
„Die Welt vergisst ältere Menschen. Sie sind jahrelang für uns da, haben uns das Leben geschenkt, uns aufgezogen. Wenn sie krank werden, empfinden Gesellschaft und Familie sie häufig als Last. Aber eine Person ist keine Last.“
„Die Welt vergisst ältere Menschen. Sie sind jahrelang für uns da, haben uns das Leben geschenkt und uns aufgezogen. Wenn sie krank werden, empfinden Gesellschaft und Familie sie häufig als Last. Aber eine Person ist keine Last“, sagt Nina Jäckel. Mit ihrer Aktion „Vergiss mein nicht“ möchte sie daher etwas zurückgeben. „Ich freue mich über Spenden, auch Lebensmittel, solange sie abgepackt sind.“ Ursprünglich wollte sie Plätzchen backen, „doch aus hygienischen Gründen ist das nicht erlaubt.“
Wer Nina Jäckel unterstützen möchte, kann sie unter ihrer E-Mail-Adresse erreichen: jaeckeln@aol.com.
Mehr Nachrichten aus Witten lesen Sie hier.