Witten. Ein niederländischer Investor prägte Wittens Industrialisierung. Doch an seinem Geld klebte Blut. Ralph Klein hat die Geschichte aufgeschrieben.
Wie wichtig die in Witten ansässige Industrie für die Stadt und ihre Menschen sind, spürt man derzeit angesichts vielfältiger Krisen besonders stark. Denn mehr als ein Betrieb wackelt. Das Gesicht der Wittener Wirtschaft hat in ihren Anfangsjahren ein niederländischer Investor maßgeblich geprägt. Ohne Jan Jacob van Braam gäbe es etwa die heutigen Edelstahlwerke nicht. Auf seine Spuren hat sich Historiker Ralph Klein begeben.
„Niederländisches Kapital hat der industriellen Entwicklung vor Ort einen riesigen Schub gegeben“, sagt Klein. Jan Jacob van Braam, der sein Vermögen in Indonesien gemacht hatte, kam 1850 nach Witten und kaufte Schloss Steinhausen. „Denn sein großer Traum war es schon immer, ein Schloss zu besitzen.“ In der Ruhrstadt wurde er fündig. Mit seinem neuen Wohnsitz erwarb er zugleich die dazugehörige Zeche Nachtigall. Er war er es auch, der die erste Nachtigall-Brücke beauftragte, um die Kohlen seiner Zeche auf kürzestem Weg zum Bahnhof transportieren zu können.
Niederländischer Kapital ermöglicht Gründung des Stahlwerks Berger
1854 gründete er zusammen mit dem Wittener Industriellen Carl Ludwig Berger und einem weiteren niederländischen Investoren das „Etablissement Berger & Co“, aus dem später das Gussstahl-Werk Witten wurde, die heutigen Edelstahlwerke. Auch die Steinhauser Hütte gründete van Braam mit. Ihre Überreste wurden 2018 auf dem Gelände des Gewerbegebiets Drei Könige wiederentdeckt. 1857 schließlich stieg er bei der Wittener Dampfmühlen AG ein, nach Angaben von Klein eine der ersten Dampfmühlen Preußens.
Vor Ort habe man das Geld des „Kapitalisten“ gerne angenommen, denn es wurde dringend benötigt. „Der Kapitalmarkt hier war leer gefegt“, so Klein. Viel Geld sei nötig gewesen, um die Stahlindustrie aufzubauen. So bezweifelt der Historiker etwa, dass Berger ohne das niederländische Geld sein Stahlwerk hätte gründen können.
Investor verursacht in Indonesien riesige Hungersnot
Noch interessanter als die Unternehmen, die der Investor in Witten ermöglichte, ist allerdings, wie van Braam an sein beachtliches Vermögen gekommen war. 1805 in den Kolonialadel der niederländischen Kolonien in Indonesien hineingeboren, verfügte er als Erwachsener über große Reis- und Zuckerplantagen.
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Doch mit dem ihm unterstellten Land ging van Braam nicht sorgsam um. Im Gegenteil. „1844 verursachte er eine massive Hungersnot in der Bevölkerung“, sagt Klein. Denn für seine neue Mühle brauchte er große Mengen Reis, um diese profitabel betreiben zu können. Also forderte er von seinen Bauern so viel von deren Ernte ein, bis für diese selbst nichts mehr übrig blieb.
Dramatische Szenen auf Java
Tausende von Menschen seien damals gestorben, so der Historiker. Am Ende habe es zu wenige Überlebende gegeben, um die Toten zu bestatten. „Sie blieben entweder dort liegen, wo sie gestorben waren – etwa auf der Straße- oder sie wurden in die Kanäle geschoben. Wo die Krokodile auf sie warteten.“ Dramatische Szenen müssen sich damals abgespielt haben. Klein hat Berichte darüber in alten niederländischen Zeitungen gesichtet.
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Doch für Jan Jacob van Braam zahlte sich seine Grausamkeit aus und er machte satte Gewinne - und schob damit kurze Zeit später die Industrialisierung in Witten an. 1860 verließ er die Ruhrstadt und lebte fortan in Arnheim. Die ganze Geschichte hat Ralph Klein in seinem Buch „Reis und Zucker, Stahl und Kohle“ aufgeschrieben. Er will damit den Blick auf die frühen globalen Verknüpfungen lenken, die Witten und seine Entwicklung geprägt haben.
>> Info: „Reis und Zucker, Stahl und Kohle“ ist im Verlag DeNoantri erschienen und die achte Veröffentlichung in der Reihe „Wittener Hefte für Stadtgeschichte“. Erhältlich ist es in der Buchhandlung Lehmkul am Rathausplatz.
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