Witten. 200 Beschäftigte von ZF Witten haben sich in der laufenden Tarifrunde am Warnstreik der IG Metall beteiligt. Was diese Mitarbeiter sauer macht.
Sieben Prozent mehr Lohn wollen sie, und 170 Euro mehr für Azubis. Das fordert die IG Metall bei den laufenden Tarifverhandlungen. Am Donnerstag hat sie zum Warnstreik bei ZF in Witten aufgerufen. Doch der Industrieantriebe-Hersteller steht unter Druck. Die Konzernführung am Bodensee droht mit massivem Stellenabbau. Manche Zeitgenossen fragen sich: Warnstreik und Wirtschaftskrise - wie geht das zusammen?
Donnerstag, 11 Uhr. Das Wetter ist symbolträchtig trübe - und kalt. Doch die Stimmung am Werkstor Pferdebachstraße ist heiß, gar „explosiv“, wie der stellvertretende Betriebsratschef Michael Grünschläger (58) feststellt. Rund 200 Beschäftigte des 130 Jahre alten Unternehmens ziehen über die Ardeystraße zum Haupteingang des Werks an der Mannesmannstraße.
ZF-Betriebsratschef Frank Blasey: Standort Witten ist rentabel
Die Belegschaft des Industrieantriebe-Herstellers ist Kummer gewohnt. Sie schrumpfte seit der Übernahme durch den ZF-Konzern vor neun Jahren von 1000 auf 600 Mitarbeitende. In Kürze sollen 60 Prozent von ihnen gehen. Dabei sei der Standort Witten, wie Betriebsratsvorsitzender Frank Blasey bei der Kundgebung vorm Werk betont, nach wie vor rentabel.
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Genau deshalb hat der 53-Jährige kein Problem damit, sich den Forderungen seiner Gewerkschaft anzuschließen. Allerdings lag die Inflationsrate in NRW in diesem Oktober bei zwei Prozent. Nehmen die Metaller ausgerechnet in der Wirtschaftskrise den sprichwörtlichen Schluck aus der Pulle?
Fritz Hickler leitet bei ZF die Gruppe der IG-Metall-Vertrauensleute. Er arbeitet in der Zerspanung. Der 44-Jährige pendelt aus Langendreer nach Witten, zehn Kilometer eine Strecke. Manchmal fährt er mit dem Rad über den Rheinischen Esel. Das bringt Kondition – und spart Geld. Die Inflation, macht der Gewerkschafter klar, mag gesunken sein. Doch das Leben sei für seine vierköpfige Familie kaum billiger geworden.
„Die hohen Preise sind immer noch da“, sagt Hickler. Er nennt ein Beispiel: „Die Heizsaison beginnt. Und jeder fragt sich: Wie sieht das mit den Energiekosten aus? Das belastet die Kollegen massiv. Die Vorauszahlungen sind gestiegen. Die Lohnforderung ist deshalb eindeutig richtig.“ Der Konzern hat andere Pläne.
Große Teile der Produktion, auch für Windkraft, sollen nach Indien. Dafür gibt es von den Demonstrierenden Gegenwind. Frank Blasey weist darauf hin, dass der Betriebsrat an einem Rettungsplan arbeite. Ziel sei es, alle drei Produktionsbereiche aufrechtzuerhalten. Stellenabbau solle nur in kleinem Rahmen erfolgen: sozialverträglich. Blasey fordert seine Kolleginnen und Kollegen gleich mehrfach dazu auf, Ideen einzubringen. Klara Klingender hat Ideen.
Die 25-Jährige arbeitet in der Industriemontage – und sie ist Vertrauensfrau der Gewerkschaft für Azubis und junge Fachkräfte. „Warum“, ruft sie als Rednerin in die Menge, „redet eigentlich keiner darüber, dass man hier mal die 30-Stunden-Woche einführt? Wenn wir die Stunden fair verteilen würden, würden hier auch Hunderte Arbeitsplätze gesichert.“
Wenn Ältere gekündigt werden, drohen große Renteneinbußen
Müssten am Ende jedoch Hunderte gehen, hätte dies schwerwiegende Folgen für die Betroffenen. Betriebsratsvize Michael Grünschläger weiß, dass die Generation 55 plus trotz des Fachkräftemangels Schwierigkeiten hat, einen beruflichen Neustart zu schaffen. „Wir müssen heute bis 67 arbeiten. Und wenn jemand mit 55 geht, hat er noch ein Viertel seines Arbeitslebens vor sich.“ Er befürchtet für die Betroffenen große Renteneinbußen.
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Und die Jüngeren? Klara Klingender sieht bei einer Kündigung auch ziemlich schwarz. „Dann habe ich keine Kohle – auf Dauer. Wenn man sich die anderen Standorte ansieht, dann ist das doch so: Ob Audi oder Thyssen Krupp – die entlassen doch auch Leute. Wo soll ich mich bewerben?“
So setzen sie und die anderen ZF-Beschäftigten auf den Rettungsplan des Betriebsrats. In Kürze wird er vorgestellt. Der Standort Witten bietet dem Konzern einen Vorteil, der in der Wirtschaft weithin geschätzt wird: ein Team mit oft langjähriger Betriebszugehörigkeit. Belegschaftsvertreter Grünschläger: „Wir sind wie eine Familie.“
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