Witten. Beim Urteil nach jahrelangen Kartenverkäufen vorbei am Finanzamt Witten fallen jede Menge kritische Worte – auch zur Ticket-Börse „Viagogo“.
Drei Tickethändler sind am Bochumer Landgericht wegen Steuerhinterziehung durch gewerblichen Zweit- und Schwarzmarkthandel zulasten des Finanzamtes Witten verurteilt worden. Gegen den Hauptangeklagten (44) aus Warburg wurden dreieinhalb Jahre Haft, gegen einen Ex-Anwalt (68) und dessen Sohn (30) aus Winterberg jeweils zwei Jahre Haft auf Bewährung verhängt. Vor allem der Jurist wurde zum Schluss der Urteilsverkündung regelrecht „angezählt“.
Ebenso wie die Bochumer Staatsanwaltschaft stufte auch die 13. Wirtschaftsstrafkammer die Verkaufsplattform „Viagogo“, über die das Trio jahrelang BVB-, Rammstein- und weitere Karten für Top-Events an die Frau und den Mann gebracht hatten, als Vermittler ein. Mit der für das Gericht eindeutigen Konsequenz: Alle Umsätze aus den Viagogo-Zweitmarktgeschäften, denen vor allem Fußball-Bundesligaclubs massiv entgegenwirken, hätte das Trio zwingend versteuern müssen. Die insbesondere von dem Ex-Anwalt und seinem Sohn dagegen vorgetragenen, vermeintlich entlastenden Einwände seien „durch die Beweisergebnisse widerlegt“, urteilte das Gericht.
Gericht widerspricht Angeklagten massiv
Vonseiten der Angeklagten war unter anderem angeführt worden, dass die Ticketgeschäfte zuletzt über eine internationale Firma mit Sitz in Polen erbracht worden seien. Man sei – steuerlich beraten – von einem umsatzsteuerfreien Ausfuhrgeschäft an Viagogo (mit Sitz in der Schweiz) ausgegangen. Dieser Argumentation widersprach das Gericht ebenso wie zuletzt bereits Staatsanwalt Ekkehart Carl („Wunschdenken“).
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„Die Tickets wurden von Deutschland aus gekauft, verkauft und auch übergeben. In Polen sind lediglich die Gelder durchgelaufen“, sagte Richter Carsten Schwadrat. Dass vonseiten eines Angeklagten zudem vermeintlich entlastend behauptet worden sei, dass er auch die Rechte und Pflichten seines Viagogo-Kontos an die polnische Firma übertragen habe, bezeichnete der Vorsitzende Richter als „Manipulation“. Und auch zu dem Einwand, dass wenn einer bei den streitigen Ticketgeschäften Steuern zahlen hätte müssen, dann Viagogo, weil die Börse die Verkäuferrolle eingenommen habe, positionierte sich das Gericht deutlich. „Die Beweisaufnahme hat nicht einen einzigen Anhaltspunkt für einen Verkauf der Tickets an Viagogo ergeben“, hieß es.
Richter kritisiert Ex-Anwalt
Andersherum sei man fest überzeugt davon, dass die Zwischenschaltung der polnischen Firma durch die Angeklagten nur einen Zweck gehabt habe: den „der Verheimlichung des gewerblichen Weiterverkaufs“. Dass man die Plattform Viagogo kritisch sehe und „auch nicht für seriös“ halte, könne man als Gericht durchaus öffentlich sagen. Das ändere aber nichts daran, dass die Steuerpflicht bei einem vermittelten Ticketgeschäft analog zum Second-Hand-Handel auf den Verkäufer entfalle.
Dass der Ex-Anwalt sich im Prozess auf eigene kritische, rechtliche Überprüfungen der Viagogo-AGB berufen, sich unter Strich aber mehr oder weniger als Unschuldslamm hingestellt habe, kritisierte die 13. Strafkammer als eine „völlig missglückte Overtüre“. Richter Carsten Schwadrat an die Adresse des Ex-Anwalts: „Sie erkennen also eine Plattform als unseriös, lassen aber nicht die Finger davon, sondern nutzen die undurchsichtigen Strukturen und machen ihre Geschäfte mit denen.“
Selbst seinen eigenen Sohn habe der Jurist anfangs nicht zurückgepfiffen, als er erfahren habe, dass dieser an Schwarzmarkgeschäften beteiligt gewesen sei. Ganz im Gegenteil: Der Ex-Anwalt habe sich selbst beteiligt. Schwadrat: „Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.“
Angeklagte verursachen Steuerschaden von rund 1,5 Millionen Euro
Durch – unversteuerte - Ticketgeschäfte haben die drei Angeklagten laut Urteil einen Steuerschaden in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro angerichtet. Ein vierter Angeklagter (51) wurde wegen Beihilfe zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Mit dem Urteil kam der Hauptangeklagte nach acht Monaten U-Haft gegen 10.000 Euro Kaution vorläufig auf freien Fuß. Von der gegen ihn verhängten Strafe gelten drei Monate als bereits verbüßt. Der Ex-Anwalt und sein Sohn müssen als Bewährungsauflagen jeweils 250 Stunden sozialen Hilfsdienst ableisten. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Andreas Perner, der Verteidiger des Hauptangeklagten, erklärte im Anschluss auf Anfrage dieser Redaktion bereits: „Die Sache wird beim Bundesgerichtshof entschieden.“
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