Witten. In Witten lernen Jugendliche bei einem LARP-Workshop am Treff der Werkstadt, wie man in eine andere Rolle schlüpft und seine Probleme überwindet.
Vor dem Treff an der Wittener Werkstadt ist ein Kampf ausgebrochen. Der Pirat Carmello dos Santos Viento und der Zwerg Boindal Eisenschwarte beäugen sich mit gezogenen Waffen. Dann geht es schnell: Carmello gibt einen Schuss aus seiner Pistole ab. Der geht daneben. Gegen den brachialen Axtschwung des Zwergs ist er machtlos. Die Streitaxt trifft ihn im Rücken. Er geht zu Boden. Was ist da los? Die beiden Streithähne sind verkleidet und ihre Waffen aus Gummi: Die beiden 34-Jährigen leiten vor Ort einen sogenannten LARP-Workshop für Jugendliche.
Giacomo Rollke hat das Projekt angestoßen. Der gastronomische Leiter der Werkstadt ist Rollenspielfan und besucht in seiner Freizeit Festivals mit tausenden anderen Hobbyrittern, -zwergen und -orks. Auf einem dieser Events hat er den Zwerg Boindal Eisenschwarte kennengelernt. Der heißt eigentlich Tobias Gotthardt, ist annähernd zwei Meter groß und unterstützt neuerdings das Jugendprojekt im Treff. Gemeinsam sprechen sie über ihre Leidenschaft und erklären, wie das Rollenspiel - Larp genannt - den Teilnehmern im echten Leben hilft.
Die Rollen der echten Welt werden hinter sich gelassen
Der Begriff Larp ist die Abkürzung für Live-Action-Roleplay, was so viel bedeutet, wie Rollenspiel mit echten Aktionen. Dabei schlüpfen die Spieler - genau wie Schauspieler - in Rollen, die sie im echten Leben nicht unbedingt einnehmen würden. Häufig bewegen sich die gespielten Geschichten im Fantasy-Genre. „Ich kenne zum Beispiel einen Hirnchirurgen, der auf Veranstaltungen als Obdachloser auftritt. Der kommt mit kleinem Gepäck und schläft auf der Straße“, erklärt Rollke.
Er selbst hat schon die verschiedensten Rollen eingenommen. Vom Krieger über den Piraten zum Hobbit war alles mit dabei. An der Piratenrolle gefällt ihm besonders, dass für Seeräuber im Spiel keine Höflichkeitsregeln gelten. „Wenn man jemanden nicht mag, würde man es ihm im Alltag niemals ins Gesicht sagen, als Pirat ist das kein Problem“, so Rollke. Es gehe beim Larp darum, in eine andere Welt einzutauchen und die Realität hinter sich zu lassen.
Echte Pädagogik an der Fantasie-Akademie
Das hat Erfolg. Rollke erzählt von einem Teilnehmer, der im echten Leben mit Schulproblemen zu kämpfen und diese mithilfe des Rollenspiels überwinden konnte. Wen hat er gespielt? Einen Schüler! Das Rollenspielprojekt des Treffs leiht sich unter anderem Elemente aus dem Harry-Potter-Universum. So besuchen die Teilnehmer, wie Harry und seine Freunde, eine geheimnisvolle Akademie. In einer Welt, in der Bildung und Wissen hoch angesehen sind, haben die Teilnehmer die Wahl: Spiele ich den guten Schüler, lerne meine Alchemierezepte und passe artig auf, oder schwimme ich gegen den Strom?
„Die Jugendlichen haben keine Ahnung, worum es geht. Sie kommen an die Akademie und können dort Kampf lernen, Diplomatie, Magie, Alchemie, Heilung oder an einem fiktiven Glaubensunterricht teilnehmen“, erklärt Rollke. Dem Teilnehmer mit den Schulproblemen hat das so gut gefallen, dass er sich nicht für ein Fach entscheiden konnte. Er hat alle besucht. Dabei habe er in manchen Fächern derartigen Einsatz gezeigt, dass er einmal - unter Aufsicht - einen Lehrer vertreten durfte. Ähnliches habe er später auch an seiner „echten“ Schule im Sportunterricht getan.
Damit der fiktive Unterricht und das Rollenspiel besonders viel Spaß machen, braucht es Requisiten. „Die kann man kaufen, aber auch gut selber machen“, erklärt Rollke. Für die Teilnehmer heißt das an den ersten drei Tagen des Workshops: basteln, basteln, basteln.
Wie im echten Leben: Man muss sich hocharbeiten
Wer übrigens denkt, dass es beim Fantasy-Larp nur darum geht, sich mit Gummischwertern im Wald zu prügeln, der irrt gewaltig. Die Möglichkeiten sind schier endlos. Während sich Tobias Gotthardt als Zwerg dem Axtkampf verschrieben hat, setzt Giacomo Rollke mittlerweile auf die Macht der Diplomatie. Als er wegen einer Verletzung keinen Krieger spielen konnte, hat er die Rolle des Hobbits für sich entdeckt. Während er im echten Leben redegewandt ist und sich gut durchsetzen kann, nehme ihn als kleinen Hobbit kaum jemand ernst. Egal, wen man im echten Leben darstellt, seinen Platz in der Fantasiewelt muss man sich neu erarbeiten.
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Das LARP-Projekt „Academia Aeria“ geht am Montag, 8. Juli, in die nächste Runde. Von Montag bis Mittwoch basteln die Teilnehmer Requisiten, arbeiten mit Leder und schneidern ihre Gewänder. „Jeder, der hier mitmacht, könnte sich später seine Hose selber kürzen“, führt Rollke eine weitere Fertigkeit auf, die vor Ort gelernt wird. Von Freitag bis Sonntag geht es dann an die Academia Aeria, die in unserer Welt dem Marienhof in Hagen zum Verwechseln ähnlich sieht. Die Teilnahme kostet, inklusive Übernachtung und Verpflegung, zehn Euro. Jeder zwischen 13 und 27 Jahren darf mitmachen. Wer sich immer noch unsicher ist, dem rät Rollke: „Nichts tun ist schlimmer, als auszuprobieren.“
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