Witten.. Hebesatz „explodiert“ auf 910 Punkte. Ist die Stadt nicht an Januar-Bescheid gebunden? Die Nachforderung ist zulässig. Vertrauensschutz greift nicht.


Mit dem Haushaltsbeschluss des Rates vom Montag (9. Mai) ist es amtlich: Wie von Eigentümervertretern befürchtet, „explodiert“ die Grundsteuer B in Witten. Mit 910 statt bisher 690 Punkten (plus 32 Prozent) kassiert Witten den höchsten Hebesatz unter den Ruhrgebietsstädten und – platzgleich mit dem sauerländischen Altena – den zweithöchsten in ganz NRW.

Diese „gewaltige Spanne“ ist für einen Eigentümer wie Ralf Brostermann „traurig genug“. Für sein 80 Jahre altes Siedlungshaus müsste er statt 490 Euro, wie im Bescheid vom 8. Januar gefordert, 2016 etwa 150 Euro mehr entrichten, hat der Wittener (58) schon mal überschlagen. Nun verschließt sich Brostermann nicht grundsätzlich den Haushaltsnöten seiner Heimatstadt, er hatte aber gehofft, dass noch ein kleines Hintertürchen offen stehen würde.

Bescheid ohne „Vorbehaltsvermerk“

Der Sozialversicherungsfachangestellte, der bei einer großen Krankenkasse arbeitet, zweifelt die Rechtmäßigkeit einer rückwirkenden Erhöhung zum 1. Januar an und fragt nach dem Vertrauensschutz. „Alle Betroffenen sind doch im Besitz eines rechtsmittelfähigen Bescheids von Anfang Januar. Nach meiner Meinung kann ein solcher Bescheid nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden – im Sozialrecht ist das auf jeden Fall so.“ Die Bescheide hätten zudem „keinen Vorbehaltsvermerk“ enthalten.

Juristisch ist die Stadt aber aus dem Schneider. Der Kämmerer wie auch der von der WAZ befragte Bund der Steuerzahler NRW verweisen beide auf das Grundsteuergesetz. In § 25 des Bundesgesetzes heißt es unzweideutig: „Der Beschluss über die Festsetzung oder Änderung des Hebesatzes ist bis zum 30. Juni eines Kalenderjahres zu fassen.“ Wortgleich findet sich diese Regelung im Gewerbesteuergesetz (§ 16) wieder. Die Gewerbesteuer hat der Rat um 20 Punkte (plus 4 %) auf 520 Punkte erhöht – auch rückwirkend zum 1. Januar.

„Was im Gesetz steht, ist entscheidend“, sagt Matthias Kleinschmidt. Deshalb greife hier kein Vertrauensschutz. „Niemand kann sich darauf berufen, ich habe es nicht gewusst.“

Hätte man die Bürger aber nicht mit einen Vermerk vorwarnen müssen? In solche Bescheide gehöre das rechtlich Notwendige und kein Verweis auf eine laufende politische Debatte, so der Kämmerer. Theoretisch hätte man vielleicht mit einem beigelegten Infoblatt nachhelfen können, aber über den Vorwurf mangelnder Kommunikation zeigt sich Kleinschmidt etwas überrascht. Seit 2014, dem ersten Vorratsbeschluss, sei das Thema „ganz breit öffentlich diskutiert worden – in der Politik, in Versammlungen, in der Zeitung und im Internet“.

Termin für Nachforderung noch offen

Wie wird die Erhöhung jetzt umgesetzt? Die Stadt könnte die Abschläge für das dritte und vierte Quartal erhöhen oder einen zusätzlichen Fälligkeitstermin für eine Nachforderung setzen. Darüber stimme man sich noch ab, man wollte die „für die Bürger einfachste“ Variante wählen. Die Stadt werde dann neue Grundbesitzabgaben-Bescheide verschicken, aber keinesfalls mehr im Monat Mai.

Grundsteuer B

In NRW hat Bergneustadt (Bergisches Land) den höchsten Hebesatz mit 959 Punkte. Dahinter liegen Altena und Witten jetzt gleichauf mit 910 Punkten. Den höchsten Satz im Bund hat Bad Nauheim (960 Punkte), Hessen.

In Witten soll die Erhöhung für die Stadt 7,2 Mio Euro erlösen. Beispiele: Ein Zweifamilienhaus kostet 1440 statt 1095 Euro, ein Genossenschaftshaus (6 Fam.) 2200 statt 1660 Euro, ein Geschäftshaus in bester City-Lage 20 600 statt 15 600 Euro.