Witten. Ein Loch unter der Autobahn in Witten: Für Lothar Stein kommt diese Nachricht nicht überraschend. Er weiß, wie es zu dem Hohlraum gekommen ist.
Für Pendler kam die Nachricht überraschend, dass bei Bauarbeiten ein Stollen unter der A 44 gefunden worden ist, der verfüllt werden muss. Für Lothar Stein hingegen nicht: Der 73-Jährige weiß schon lange, wie löchrig der Boden an der Stelle ist. Schließlich ist er als Kind selbst dort in den Stollen geklettert.
Der Persebecker, der von Kindesbeinen an direkt an der Stadtgrenze zu Witten wohnt, erinnert sich noch ganz genau an die Zeit, als von der Autobahn noch keine Rede war. „Damals waren da nur Wiesen und Felder.“ Und der Stollen eben. Richtig offiziell sei der wohl nicht gewesen. „Der war nicht gesichert oder so“, sagt Stein. Aber es seien doch immer Arbeiter da gewesen, die Kohle abgebaut hätten, die dann mit Lastwagen abtransportiert worden sei.
Wittener hat Kohle mit dem Schlitten nach Hause gezogen
Für Lothar Stein und seine Freunde, damals alle so zehn bis zwölf Jahre alt, war das eine spannende Sache. Und für seine Eltern eine lohnende: „Wir hatten ja kein Geld, deswegen hat mich mein Vater immer dort hin geschickt, um Kohlen zu klauen.“ Das habe die Familie durch manch kalten Winter gebracht. Mit dem Schlitten sei er losgezogen, „damals hatten wir ja noch mehr Schnee“. Keine fünf Minuten habe er zu Fuß über die Feldwege gebraucht, um zum Stollen zu kommen. „Und dann haben wir uns an dem Haufen Kohle bedient.“ Die größten Stücke hätte er rausgesucht und mit dem Schlitten nach Hause gebracht. „Da haben wir sie dann kurz und klein gekloppt.“
Das Hamstern war natürlich nicht ganz ungefährlich. „Wir mussten immer aufpassen, dass uns keiner der Männer sieht“, erzählt Lothar Stein schmunzelnd. Es ist ihm geglückt: „Die haben uns nie erwischt.“ Auch nicht, als die Jungs leichtsinnigerweise in den Stollen reingeklettert sind. Der 73-Jährige hat den Anblick nicht vergessen: „Da hatten wir ganz schön Angst. Acht Meter tief war der bestimmt, das ging steil bergab.“
Verästelungen des Bergbaus ziehen sich unter den Feldern weiter
Seine Erinnerungen trügen ihn nicht: Zehn Meter tief und drei Meter breit ist das Loch, dass die Mitarbeiter von Straßen NRW bei Probebohrungen für den Umbau des Autobahnkreuzes unter der A 44 gefunden haben. Das bestätigt Susanne Schlenga von der Pressestelle. Das sei aber nicht alles: Dahinter gebe es noch zahlreiche Verästelungen. „Klar, das zog sich weit durch die Felder. Bis dahin wo die Windräder stehen“, meint auch Lothar Stein. Auch im angrenzenden Wäldchen habe es damals immer wieder kleine Tagesbrüche gegeben. „Da musste man höllisch aufpassen.“
Schon als die Autobahn in den 70er Jahren gebaut wurde, hat sich Lothar Stein gewundert, dass den Schäden nicht mehr Beachtung geschenkt wurde. „Die wussten doch, dass da die Stollen sind. Aber da wurde ein bisschen Dreck ins Loch gekippt und fertig“, so hat er es damals gesehen.
Susanne Schlenga erklärt, wieso: „Damals war der Stand der Technik ein anderer.“ Anstatt wie jetzt die Löcher mit flüssigem Beton zu verfüllen, seien sie damals nur überdeckt worden. „Man dachte, eine Betonplatte darüber zu legen reicht aus – aber die Verkehrsbelastung war ja auch eine ganz andere als heute.“ Und: Bei weiten seien nicht alle Stollen verzeichnet gewesen. „Der oberflächennahe Bergbau in der Region war teilweise offiziell, teils aber auch illegal.“
Arbeiten laufen mindestens bis Dezember
Der Hohlraum unter der A 44 war bei Probebohrungen für den Umbau des Autobahnkreuzes in einer Tiefe von nur acht Metern unter der Fahrbahn gefunden worden. Eigentlich sollte die Verfüllung nur einige Tage dauern. Inzwischen ist klar: Die Arbeiten laufen noch mindestens bis Anfang Dezember. Je nach Witterung könnte es auch noch länger dauern. So lange bleibt die Strecke bis Annen gesperrt.
Die Vorbereitungen für die Neugestaltung des Kreuzes A 45/A 44 zu einem Autobahndreieck gehen derweil weiter. Bis Ende des Jahre soll ein direkter Zubringer von der Sauerlandlinie auf die A 44 Richtung Witten entstehen.
Inzwischen sei klar, dass das Ausmaß der Schäden weit über das Bekannte hinaus geht, so die Expertin von Straßen NRW. Deshalb werde die Zeit der Sperrung jetzt genutzt, um nicht nur – wie geplant – vom Seitenstreifen aus, sondern auch direkt unter der Fahrbahn nach weiteren Hinterlassenschaften des Bergbaus zu suchen. „Da haben wir auch schon kleinere Sachen gefunden, die dann gleich verfüllt wurden.“ Es werde noch einige Wochen dauern, bis die Arbeiten abgeschlossen sind. Lothar Stein wird sie sicher genau verfolgen – jetzt aber aus sicherer Entfernung.