Witten. Er schlug wahllos auf Passanten ein, als er nachts durch Witten lief, voller Wut auf sein verpfuschtes Leben. Hat dieser Mann noch eine Chance?

Immer wieder kommt es vor, dass Menschen nachts in der Innenstadt grundlos geschlagen oder ausgeraubt werden, oft ist Alkohol im Spiel. Zwei Promille hatte ein junger Mann intus, der jetzt wegen gefährlicher Körperverletzung vor der Amtsrichterin stand.

Es war der 21. November letzten Jahres, als der 29-Jährige gegen 1.30 Uhr auf der Bahnhofstraße erst auf zwei Männer Anfang 20 losging, sie beleidigte und ihnen ins Gesicht schlug, bevor er wenig später einen 56-Jährigen Passanten von hinten attackierte. Der Angeklagte konnte sich zwar nicht mehr genau erinnern, räumte die Taten aber ein. „Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne“, sagte er und entschuldigte sich bei den Opfern. Nüchtern wäre ihm das nie passiert, beteuerte er.

Aussagen zweier Opfer aus Witten spielen nach Geständnis keine entscheidende Rolle mehr

Die Schilderungen der Zeugen, sprich Opfer, dürften am Ende gar keine große Rolle mehr spielen, zumal der Angeklagte ja geständig ist und Reue zeigt. Die Richterin ging auch gar nicht mehr weiter auf die Widersprüche der ersten beiden jungen Männern ein, von denen einer nur geschubst, aber gar nicht geschlagen worden sein will, der andere das aber nach eigenen Aussagen „definitiv“ gesehen hatte.

Fotos, die in der Verhandlung gezeigt wurden und Verletzungen von zwei Angegriffenen im Gesicht zeigten, erhärteten den Vorwurf des Staatsanwalts. Letztlich ging es aber nur noch darum, wie mit dem Beschuldigten zu verfahren ist, der an seinen zwei kleinen Kindern hängt, in der Vergangenheit aber immer wieder zur Flasche gegriffen hat und auf die schiefe Bahn geraten ist.

Angeklagter hat immer wieder versucht, sein Leben in den Griff zu kriegen

„Da sind wir wieder beim Thema Sozialarbeit im Strafrecht“, sagte Amtsgerichtsdirektorin Barbara Monstadt, die die Verhandlung führte. Sie hielt dem Angeklagten zugute, sich immer wieder „abzustrampeln“, um sein Leben in den Griff zu kriegen, dabei aber immer wieder gescheitert ist. Als er in jener Nacht in der Fußgängerzone voller Wut auf sein verpfuschtes Leben im Suff ausrastete, war er obdachlos, seine Koffer hatte er im Breddegarten abgestellt. Unter Depressionen leidend, hat er auch schon einen Selbstmordversuch hinter sich. Als davon die Rede war, fing er im Gericht an zu weinen.

Die Richterin konnte ihm aber auch sein langes Vorstrafenregister nicht ersparen: Sachbeschädigung, Körperverletzung, schwere räuberische Erpressung, Raub, Betrug, Jugendarrest, später auch Gefängnis, wo er sich zum Maschinen- und Anlagenführer ausbilden ließ. Danach habe er versucht, in der Schweiz beruflich Fuß zu fassen. „Das hat aber alles nicht funktioniert. Ich bin wieder rückfällig geworden.“ Zwei Therapien hat er abgebrochen, eine beendet.

Richterin lässt 29-Jährigen begutachten

Nun will ihn die Richterin begutachten lassen – in der Hoffnung, ihn in einer Suchtklinik unterbringen zu können. „Aber so ein Aufenthalt in einer Entziehungsanstalt kann dauern“, sagte Monstadt. „Das wäre die Hardcore-Lösung.“ Der Prozess wird fortgesetzt, um einen Sachverständigen zu hören. Für den Angeklagten, der unter Depressionen leidet, könnte es eine neue Chance sein. In einem anderen Bundesland, wo die Ex-Freundin lebt, wartet sein kleiner Sohn auf ihn.