Witten..

Wie Tennisbälle spielten sich der Kabarett-Altmeister Dieter Hildebrandt und der Publizist und Fernsehmoderator Roger Willemsen im nahezu ausverkauften Stadtwerke-Zelt die Pointen zu.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren. Es ist mir ein Vergnügen...“ - „Lüge! Eine Heidenarbeit ist es! Eine Maloche.“ - Kaum haben Roger Willemsen und Dieter Hildebrandt derart nonchalant die Bühne im nahezu ausverkauften Stadtwerke-Zelt betreten, befinden sie sich schon mitten im satirischen Disput über die Kulturhistorie der Lüge.

Bereits seit 2007 spielen sich der Publizist und Fernsehmoderator Willemsen und Kabarett-Altmeister Dieter Hildebrandt in ihrem Programm „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“ die Pointen wie Tennisbälle zu. Ihr gleichnamiges Buch stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste. Doch live bieten die beiden dank unvorhersehbarer Improvisationskomik und aktuellen Bezügen noch immer ein Feuerwerk, das den Lesegenuss um Längen übersteigt.

In gewohnter Manier bombardieren sich die beiden mit Zitaten aus Geschichte, Literatur, Politik und Religion: „Ein Gräuel für den Herrn sind falsche Lippen“, trägt Roger Willemsen aus der Bibel vor und erntet prompt den bissigen Konter seines 84-jährigen Gegenübers: „Willemsen, Sie weisen noch Collagen im Alten Testament nach!“

Von den großen Schriften der Theologen bis hin zum chirurgisch optimierten Dekolleté der Damen im Publikum lassen die Kabarett-Streithähne keine Thematik der Weltgeschichte aus, in der jemals gelogen, betrogen oder die Wahrheit auch nur ein kleines bisschen entfremdet wurde. Dabei keifen und philosophieren sie über die Kanten und Nietzschen des verlogenen Menschenlebens, durchstreifen Potjomkin’sche Dörfer ebenso wie das von Internet-Foren propagierte non-existente Bielefeld oder gar komplett „erfundene Jahrhunderte“ („Heribert Illig behauptet ja, es hätte das Mittelalter niemals gegeben“).

Ob Marco Polos umstrittene China-Reise oder die Tarnungen im Tierreich - den Zuschauern treibt es die Freudentränen in die Augen. Hildebrandts Resümee: „Für Fressen, Sex und Arterhaltung wird gelogen, bis die Schwarte kracht!“

Zu den Programm-Aktualisierungen gehört neben den „erlogenen EHEC-Gurken“ auch Theodor zu Guttenberg, dem die beiden Kabarettisten nur zu gern unterstellen würden, dass er selbst seine Abschiedsrede noch im Plagiat-Stil seiner Dissertation verfasst habe. Willemsen: „War die nicht von Captain Kirk aus Raumschiff Enterprise?“ Auch weitere Politiker - ihr Berufsstand mache sie zu den prädestiniertesten Lügen-Erzählern - bekommen ihr Fett weg. Etwa Guido Westerwelle, denn der sei „liberal - natürlich! - aber im Umgang mit der Wahrheit.“ Auch FDP-Kollege Rösler wird an diesem Abend nicht verschont. Kein Wunder, ereilen uns doch zeitgleich die ersten Wahl-Ergebnisse aus Mecklenburg-Vorpommern.

Pointe um Pointe entlarven Hildebrandt und Willemsen die Aberwitzigkeit ihrer Lügen-Geschichte und sind auch vom Wettereinbruch nicht zu stoppen. Das tosende Unwetter bauen sie sogar kurzerhand ins Programm ein: Warum die Lüge der irakischen Massenvernichtungswaffen nicht aufgefallen sei? „Da muss es wohl auch so laut geregnet haben.“

Doch an einer Stelle behalten die Kabarett-Großmeister Unrecht. Was sagten sie noch zum Thema Happy-End? „Es endet nie happy. Nie, nie, nie!“ — Aber, aber, Herr Hildebrandt, rund 950 strahlende Gesichter mit tieffurchigen Lachfalten heißen die Aussage am Ende Ihres grandiosen Programms: eine Lüge!