Velbert. Auf der Straße leben, Hunger haben oder frieren. Dagegen setzen sich diese Schüler ein und erfahren, wie es sich anfühlt, betteln zu müssen.
Leonids Lippen zittern. Er reibt sich die Hände, versucht, die Innenflächen mit seinem eigenen Atem zu wärmen. Zwar hat der Nieselregen gerade ausgesetzt, aber bei 7 Grad Außentemperatur in Velberts Fußgängerzone friert er mit seiner kurzen Hose und seinem dünnen Pulli sichtlich.
„Ich hab mich heute extra so angezogen“, sagt der 11-jährige Schüler aus der sechsten Klasse des Nikolaus-Ehlen-Gymnasiums (NEG). „Ich wollte spüren, wie es so ist, wenn man Straßenkind ist und frieren muss.“ Alle Schülerinnen und Schüler aus dem sechsten Jahrgang nehmen heute an der „Terres des Hommes“-Aktion „Straßenkind für einen Tag“ teil.
Velberter Schülerinnen und Schüler sind Straßenkinder für einen Tag
Für diese Aktion zogen sie mit Schildern und Sammelbüchsen durch die Fußgängerzone und baten die Passanten darum, ihnen entweder etwas von ihren selbstgefertigten Dingen abzukaufen oder um eine Spende für das Projekt „Chancen für Straßenkinder“.
Eifrig hat Sophie (12) dafür am Vorabend Dinkelbrötchen gebacken. „Ich dachte, wenn die Leute morgens Hunger haben, dann passt das gut“ – und Anabelle (11) hat aus Tannenzapfen grün-glitzernde Weihnachtsbäume gebastelt. „Wir wollen möglichst viel sammeln für die Straßenkinder“, sagen die beiden begeistert. Doch bei aller Euphorie müssen sie schnell feststellen, dass ihre Aktion nicht nur auf Begeisterung stößt. „Einige machen einen großen Bogen um uns“, erklärt Sophie. Andere aber finden es toll, wie die jungen Schülerinnen und Schüler sich engagieren – „und spenden auch einfach nur, ohne uns etwas abzukaufen.“
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Noel (10) stärkt sich schnell mit einem Muffin, bevor er weiterzieht. „Wir haben schon fast 50 Euro zusammen“, sagt sein Freund begeistert. Die beiden haben sich eine besondere Taktik überlegt und sich, nachdem „uns einige gesagt haben, dass sie gerade kein Kleingeld haben“, direkt vor der Sparkasse aufgestellt. „Da haben viele ja gerade Geld abgehoben“, freut sich Noel. Fremde Menschen anzusprechen und sie um Geld zu bitten, „das war am Anfang unangenehm“, findet er. Aber je öfter er es versucht, desto leichter wird es „und dann ist ein Nein auch nicht mehr so hart“. Ähnlich geht es auch Sophie: „Zum Betteln braucht man Mut“, bestätigt sie „und eine Absage darf man nicht so persönlich nehmen“.
Leonid ist derweil mit seinen Freunden Ahmad und Evangelos (beide 11) weiter gelaufen. Auch sie wollen für die Straßenkinder ihr Bestes geben.
Velberter Kinder sind froh, dass sie noch nie um Geld bitten mussten
Dann treffen sich alle wieder vor dem Münzbrunnen an der Sparkasse und leeren ihre Sammeldosen. Beatrix Sich, die gemeinsam mit den Kolleginnen Marie Freund, Inge Thörner und Renate Surminski die Aktion im Vorfeld in der Schule mit den Kindern besprochen hat, freut sich. „Da ist doch schon so einiges zusammen gekommen“. Wie viel genau, das kann sie erst am Abend sagen. Denn erst einmal geht es darum, die Kids weiter in ihrem Eifer zu unterstützen.
Doch dann entdeckt sie, dass die beiden elfjährigen Mädchen Lara und Ida Armbänder und Ketten aus Perlen gebastelt haben. „Ganz schön lang haben wir da dran gesessen und gestern spätabends hab ich noch weiter gemacht“, erklärt Lara. Denn „ich finde es schöner, wenn die Leute nicht nur spenden, sondern auch etwas bekommen.“ Da ist selbst Beatrix Sich begeistert, die sich ein Set aus Kette und Armband für ihre Enkelinnen aussucht und natürlich schnell auch ein Scheinchen in die Spendendose steckt.
Seit 23 Jahren richtet die „Terre des Hommes“-Gruppe Velbert die Aktion „Straßenkind für einen Tag“ gemeinsam mit dem NEG aus. Im Vorfeld berichten sie den Kindern von der Armut der Straßenkinder und wissen, dass die Schüler stets voller Begeisterung beim „praktischen Unterricht“ dabei sind. Und neben dem Stolz, dass die Kids mit dieser Aktion den armen Kindern helfen können, sind sie auch ganz schön froh, „dass es uns so gut geht und dass ich noch nie jemanden nach Geld fragen musste“, schließt Leonid und fügt grinsend hinterher: „Na ja, bis auf meine Eltern natürlich.“
Am Ende kamen bei der Aktion 1353 Euro zusammen, „so viel wie noch nie“, freut sich die Beatrix Sich über die stolze Summe.