Velbert. Der alte Wasserturm an der Steeger Straße wird zum Wohnhaus umgebaut. Ab 1947 wuchs hier ein späterer Pfarrer auf. Er erinnert sich jetzt.
Joachim „Jochen“ Nagel ist Pfarrer im Ruhestand. Er lebt in Poznan (Polen) und war erstaunt, als er einen Artikel aus der WAZ über ein junges Paar erhielt, das den alten Wasserturm an der Steeger Straße gekauft hat, um darin ein neues Zuhause einzurichten.
„Diese jungen Leute sind der Meinung, dass der Wasserturm bislang nicht zu Wohnzwecken genutzt worden sei. Dies ist jedoch ein Irrtum, und ich, der ich fast 20 Jahre dort gewohnt habe, möchte aus meiner Kindheit und Jugend im und am Wasserturm erzählen“. Hier teilt Joachim Nagel seine Erinnerungen, „die über eine Beschreibung der Velberter Wohnbedingungen in den 50er Jahren hinausgehen, die aber doch eng mit dem Charme, dem Umfeld und dem „genius loci“ dieses „Hohen Hauses“ an der Steeger Straße zusammenhängen“.
Pfarrer ist im alten Velberter Wasserturm aufgewachsen
Der Wasserturm wurde zumindest seit der Kriegszeit bis etwa 1983 durchgängig von meiner Familie, meinen Eltern und Großeltern, bewohnt. Ich bin Jahrgang 1947 und bis zu meinem 14. Lebensjahr dort aufgewachsen. Meine Großeltern väterlicherseits und noch eine weitere Familie haben bis zu ihrem Tode den Alten Wasserturm bewohnt, später wiederum zog mein Vater ein und als Student einige Zeit auch ich wieder. Nach meinem endgültigen Auszug wurde der Wasserturm eine Zeitlang zum Domizil des Amateurfunkervereins Velbert, der den Turm zum Antennenbetrieb nutzte.
Der Wasserturm gehörte den „Stadtwerken Velbert“, wir alle wohnten zur Miete, die wohl nicht sehr hoch war. Mein Großvater sah im Turm nach dem Rechten und pflegte die Außenanlagen. Eingehendere Wartungsfunktionen des Kesselbetriebs waren überflüssig. Der Kessel umfasste 900 Kubikmeter und diente als Reserve, um den Netzdruck im Krisenfall aufrecht zu erhalten. Von Zeit zu Zeit wurde er abgelassen und neu befüllt, um die Bildung von Ablagen zu verhindern. Dann donnerte das Wasser mit Gepolter hinunter auf die Steeger Straße, ansonsten war „Ruhe im Turm“.
Ein Dachboden zum Toben im Wasserturm an der Steeger Straße
Im Parterre des „Hohen Hauses“ befanden sich Badezimmer, Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer meiner Eltern sowie mein Zimmer, welches später von meinem anderen Großvater übernommen wurde; einem Witwer und Vater meiner Mutter.
Eine eiserne Treppe führte hinauf auf die erste Etage, wo sich zwei Zimmer für meine beiden Großeltern und zwei weitere Zimmer für die andere Familie befanden. Die Wohnbedingungen oben waren sehr rustikal, ohne Sanitäreinrichtungen. Unten gab es Gasheizung, oben Kohlefeuerung.
Über den Wohngeschossen befand sich der erste Speicher, zum Rumtoben für einen Jungen hervorragend geeignet. Eine alte Nähmaschine stand dort, ein Schrank, in dem der Christbaumschmuck verstaut war, und eine alte Messstation aus Vorkriegszeiten zur Überwachung der Wasserstände. An einer Wand hingen noch trockene Tabakblätter. Später war im ersten Speicher für einige Zeit ein Taubenschlag eingerichtet, den mein anderer Großvater gemeinsam mit mir versorgt hat.
Ein unheimlicher Speicher und eine Aussicht bis zum Rhein
Weiter hoch führte die Wendeltreppe zum zweiten Speicher, der einen düsteren Eindruck machte mit seinen ausrangierten alten Gaslaternen, mir irgendwie unheimlich. Mein Bereich war der Boden unter dem Kessel, wo es auch zum ersten Ring, also zum äußeren Umlauf um den Kessel hinausging, wo ein Geländer für die nötige Sicherheit sorgte. Es gab noch einen zweiten Außenring direkt unter dem Dach.
Manchmal habe ich mehrmals am Tag von dort oben auf Velbert hinuntergeschaut. Mitten durch den Wasserkessel ging dann die Wendeltreppe hinauf zur Laterne und zum Dritten Ring, von dem aus man sogar den Rhein sehen konnte, wie behauptet wurde. Gelegentlich hat auch unsere Grundschulklasse von der Sontumer Straße gemeinsam mit unserer Lehrerin, „Fräulein“ Putzer, unter der Führung meines Großvaters das alte Gemäuer neugierig und ehrfurchtsvoll besichtigt, wie noch gerne erinnert wird.
Auch damals schon die Frage: Wie wohnt man eigentlich mit eckigen Möbeln in runden Wänden? Nun, die Möbel standen längs der Außenwand, einige an den geraden Segmenten, welche die Räume abgeteilt haben, und so krumm, dass man beim Entlanggehen den „Drehwurm“ bekommen hätte, waren die Wände auch wieder nicht.
Vor dem Wasserturm stand links neben dem Treppenaufgang eine Bank, weiterhin erstreckte sich eine Rosenrabatte. Der Clou war unser „Musikpilz“, ein als Fliegenpilz gestalteter Lautsprecher, der mit dem Plattenspieler im Wohnzimmer meiner Eltern verbunden war. Sonntags haben wird alle oftmals dort gesessen und Musik gehört, dazu gab es Kremschnittchen vom Bäcker „Krausen“ oder von „Meiswinkel“ auf der Langenberger Straße. Zur Rechten des Treppenaufgangs befand sich ein Spalier mit Weinranken. Eine Eberesche, eine Buche und einige Birken bildeten zusammen mit einer Ligusterhecke die Abgrenzung des Hofes zur Straße hin.
Wo jetzt die Wohnanlage steht, waren bis zur Steeger Straße, die damals noch unbefestigt war und als „Königstraße“ weiter bis in die „Bierhöfe“ führte, verwilderte Gärten, ideal zum Spielen, Schmetterlinge beobachten, Marienkäfer bestaunen, ein Paradies. Hier stand auch das Backhaus der Bäckerei „Krausen“, die den Laden an der Langenberger Straße hatte. Wunderbar duftete es nach frischem Brot, wenn frühmorgens gebacken wurde; frische, warme Frühstücksbrötchen habe ich schon um halb sieben dort geholt.
Tierische Mitbewohner im alten Wasserturm
Wir haben Haus und Hof nicht alleine bewohnt, es gab zwei Katzen, „Mautz“ und „Bommel“, und an der Rückwand des Hofes zwei Hühnerställe. Einer dieser Hühnerställe wurde später zu Zwinger und Auslauf für „Carlo“, den Wachhund der Stadtwerke.
Im Herbst wurde regelmäßig eingekellert, auch Eingemachtes aus dem Garten. Dazu standen Sauerkrauttonnen und Weinballons im Keller bereit. Der Weißkohl wurde mit einem geliehenen Hobel geschnitten, die Weintrauben rechts von der Treppe wurden eingemaischt, vor allem aber Erdbeeren, auch aus dem Garten meines anderen Großvaters, und Rhabarber wurden vergoren, während aus den Schwarzen Johannisbeeren mit Kandiszucker und Bergischem Korn „Aufgesetzter“ gemacht wurde.
Im Keller gluckerte der Wein in großen Glasballons vor sich hin und wurde dann auf Flaschen abgezogen; meine Aufgabe war es dann, am Abfüllschlauch zu nuckeln. Verkostet wurde der neue Jahrgang zum Geburtstag meines Großvaters Mitte September. Im Keller stand außerdem ein großer Waschkessel, der an manchen Tagen mit Holz in Betrieb genommen wurde und angenehm seinen Geruch nach Frische und Sauberkeit verbreitete.