Velbert. Anna Genze gehört zum Bundeskader der Sportakrobaten. Im November zeigt sie ihr Können bei der Deutschen Meisterschaft und will aufs Treppchen.
Akrobatik verbinden die meisten Menschen wohl mit der Circusmanege oder der Bühne des Varietés, wo Artisten durch die Luft fliegen, eine Frau den Kopf ihres Partners nutzt, um darauf Handstand zu machen oder am Boden ihren Körper wie eine Schlange verbiegt.
Es gibt jedoch noch die Sport-Variante der Akrobatik – und in Velbert wohnt eine von Deutschlands Besten in dieser Sportart: Anna Genze, 15 Jahre alt, Mitglied des Bundeskaders, mit durchaus guten Chancen auf einen vorderen Platz bei den Deutschen Meisterschaften, die Anfang November in Berlin stattfinden.
So kam die Velberterin vom Eiskunstlauf zur Sportakrobatik
Sportbegeistert war die Velberterin schon immer. Bis 2017 betrieb sie vor allem Eiskunstlauf und Ballett, dann besuchte die Familie auf Einladung einer Bekannten die Weihnachtsshow eines Sportakrobatik-Vereins in Düsseldorf – und Anna war sofort Feuer und Flamme: „Das möchte ich auch machen“, verkündete sie am Ende der Show. „Es war sehr beeindruckend und etwas Neues“, erinnert sie sich heute – fast sieben Jahre später – noch gut: Fasziniert war sie vor allem von dem blinden Vertrauen zwischen den Sportlern. Denn: Sportakrobatik ist in der Regel Teamsport. Zwei oder mehr Sportler zeigen gemeinsam verschiedene Elemente: Balance, Kraft und Technik treffen auf Ausdruck und ausgefeilte Choreografien zu stimmungsvoller Musik.
Anna trainiert an vier Tagen pro Woche jeweils mindestens drei Stunden
„Ich habe dann schnell gemerkt, dass mir das alles großen Spaß macht“, sagt Anna Genze, die in der Anfängergruppe des Leistungszentrums Sportakrobatik (LZSA) zunächst noch allein verschiedene einzelne Elemente trainierte – vom Radschlag bis hin zum perfekten Spagat. Dann kam der große Moment, auf den sie hingefiebert hat: Sie wurde Teil eines Damen-Trios, später bekam sie mit der inzwischen elfjährigen Varvara eine feste Duo-Partnerin: „Wir verstehen uns zum Glück sehr gut“, sagt die Schülerin, die die zehnte Klasse des Geschwister-Scholl-Gymnasiums (GSG) in Velbert besucht. Schließlich verbringt sie viel Zeit mit ihrer Sportpartnerin: An vier Tagen pro Woche wird drei bis dreieinhalb Stunden trainiert.
Schule und Sport unter einem Hut – eine echte Herausforderung
Ja - es sei schon eine Herausforderung, Schule und Sport unter einen Hut zu bekommen, sagt sie ganz offen, gerade wenn mal wieder Klausuren anstehen. Einfach eine Trainingseinheit ausfallen lassen? „Das geht nicht, wer aussetzt, kommt nicht weiter“, sagt sie. Hausaufgaben erledige sie häufig auf der rund 40-minütigen Autofahrt nach Düsseldorf. „Dann zwar nicht ganz so ordentlich“, gibt sie zu, aber auch da ist sie diszipliniert. Ein guter Abi-Abschluss ist ihr wichtig, „denn der Sport bleibt ja nicht für immer“. Später möchte sie als Trainerin arbeiten, vielleicht Jura studieren – „mal schauen“. Etwas Zeit bleibt ja noch. Zeitlich näher liegt da ihr nächstes sportliches Ziel: Im November stehen die Deutschen Meisterschaften in Berlin an. Dort starten Anna und Varvara in einer höheren Altersklasse als sie eigentlich wären: „Unsere Elemente sind darum etwas leichter als die der Konkurrenz“, sagt die ehrgeizige Velberterin. „Aber wenn wir die dann besser ausführen, können wir trotzdem einen guten Platz machen.“ Besser als beim letzten Mal, das ist der Wunsch. Da war es der siebte Platz. Und dann könnte der nächste Traum wahr werden: die Europameisterschaft in Luxemburg.
Familie unterstützt Anna, macht aber keinen Druck
Annas ehrgeizige Pläne werden unterstützt von ihrem Vater Andreas, der auch Sportakrobatik-Trainer ist – allerdings nicht der Trainer seiner Tochter. „Das würde nicht gutgehen“, sagt die Sportlerin lachend. Stolz ist Andreas Genze allerdings schon. Auf die sportlichen Leistungen, aber auch, dass sein Kind viel fürs Leben lernt: Disziplin und Teamwork beispielsweise – „alles ohne Druck durch mich“, fügt er hinzu. „Mir macht es nach wie vor Spaß“, sagt Anna, die froh ist, dass ihre Freunde Verständnis dafür haben, wenn sie mal wieder keine Zeit für ein Treffen hat. Für sie sei es ein schönes, besonderes Gefühl, wenn sie auf dem Treppchen stehen dürfe oder sogar für Deutschland antreten dürfe. „Dafür lohnt es sich, so viel Zeit zu investieren“, sagt sie.
Mit drei verschiedenen Choreografien und Arielle zur DM nach Berlin
Nun also erst einmal Berlin: Drei verschiedene Choreografien haben die beiden Sportlerinnen vorbereitet, eine mit dem Schwerpunkt Balance, die andere temporeich – und für das Finale eine Kombination. „Unter anderem zu Musik aus Arielle“, verrät Anna. „Zwischenzeitlich wird es aber auch ganz dramatisch und ich muss meine Partnerin wiederbeleben“, sagt sie. Natürlich ist das nur Teil der Choreografie. Die Kampfrichter bewerten in den Bereichen Technik und Artistik beispielsweise die Synchronität oder den festen Stand. Wackeln gibt Abzüge. Eine gute Bewertung erhofft sich Anna für ihr Lieblingselement, bei dem sie zunächst steht, ihre Partnerin die Hände auf ihre stützt, die Beine zunächst 90 Grad angewinkelt, dann hoch in eine Handstand-Position wechselt, die sauber drei Sekunden gehalten werden muss, bevor Anna dann als Unterfrau in den Spagat geht.
So unterscheiden sich Sport- und Circusartisten
Circusartisten – um noch einmal zum Anfang des Artikels zurückzukommen – würden von den Kampfrichtern übrigens vermutlich keine guten Wertungen bekommen. „In der Manege kommt es auf andere Dinge an“, sagt Andreas Genze, der selbst Kampfrichter ist. „Da geht es um eine temporeiche Show, bei der nicht jedes Element ohne Wackler mehrere Sekunden gehalten werden muss.“ Dennoch seien viele der Artisten des weltbekannten Cirque du Soleil frühere Sportakrobaten. „Das wäre nichts für mich“, sagt Anna. „Da ist man zu viel unterwegs.“ Dann doch lieber Jura - auch wenn der Spagat im Gericht wohl höchstens im übertragenen Sinn benötigt wird.