Velbert. Die Wählergemeinschaft „Velbert anders“ feiert runden Geburtstag. August-Friedrich Tonscheid erinnert an die Anfänge und spricht übers Aufhören.

Mit einem kleinen Artikel in der WAZ fing 1994 alles an: August-Friedrich Tonscheid suchte darin Mitstreiter für eine neue Wählergemeinschaft in Velbert. „Die waren damals als Alternative zu den Parteien gerade im Kommen“, erinnert er sich heute, 30 Jahre später. „Im Kreis Mettmann gab es mit der Mettmanner UBWG aber gerade eine einzige Wählergemeinschaft.“

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Gründe für eine Gründung gab es für den Nevigeser, der vorher Mitglied der SPD – „in grauer Vorzeit sogar Ortsvereins-Vorsitzender“ – war, damals mehr als genug. Es sei die Zeit der Stadttöchter bzw. -beteiligungen gewesen: „Da wurden Gelder hin- und hergeschoben, das ganze Auftreten gefiel mir einfach nicht“, erinnert er sich: „Es waren so einige Dinge, die mir absolut quer gingen.“

30 Interessierte kamen 1994 zur ersten Versammlung nach Velbert-Tönisheide

Mit dieser Meinung stand Tonscheid offenbar nicht alleine da: Zum ersten Treffen am 26. Februar in Tönisheide kamen 30 Interessierte. „Und ich hatte kein Freibier versprochen“, sagt der Einlader lachend. Schnell ging es zur Sache – schließlich waren es nur noch wenige Monate bis zur Wahl im Herbst. Tonscheid selbst trat indes eine Kur an, „damals gab es ja noch kein Internet, wo man alles nachlesen konnte, kein Handy mit Nachrichten oder Mails“. So wurde er bei seiner Rückkehr von einem Artikel überrascht, der die Gründung von „Velbert anders“, der neuen Wählergemeinschaft, ankündigte. „Mit der Namensfindung hatte ich also nichts zu tun, wollte aber auch keine aneinandergereihten Buchstaben und mir fiel auch nichts Besseres ein“, sagt er heute schmunzelnd.

Velbert anders wird 30 Jahre alt und feiert das. 03.10.2024 in Velbert
Die stellvertretende Bürgermeisterin Dr. Esther Kanschat überbrachte die Glückwünsche der Stadt Velbert zum runden Geburtstag. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

Schon im ersten Jahr wurden alle Wahlkreise besetzt und man zog mit 6,7 Prozent in den Rat ein

Nach der offiziellen Vereinsgründung Ende April wurden die Wahlkreise besetzt – „direkt alle 25“, wie Tonscheid nicht ohne Stolz erzählt, und die Reserveliste wurde ebenfalls aufgestellt. Am Wahl-Nachmittag hieß es zunächst: Ihr seid nicht drin! Ihr landet bei 4,6 Prozent. Für diese Prognose waren allerdings nur drei Wahlkreise analysiert worden, „davon einer in Mitte, einer an der tiefschwarzen Nordrather Straße und einer in Langenberg, wo wir schon im Wahlkampf nicht richtig Fuß fassen konnten“, so Tonscheid, der sich sicher war: „Das packen wir!“ Am Ende wurden es 6,7 Prozent. „Velbert anders“ zog in den Stadtrat ein, besetzte jeden Ausschuss und Tonscheid wurde Fraktionsvorsitzender. Und das ist er bis heute geblieben.

Das „Sahnejahr“ war 2004: Direktmandat und fast 30 Prozent bei der Bürgermeisterwahl

„Unser Sahnejahr war 2004“, erinnert er sich: mehr als zwölf Prozent, ein Direktmandat in Tönisheide und Tonscheid selbst holte bei der Bürgermeisterwahl immerhin fast 30 Prozent der Stimmen gegen den von CDU, SPD, FDP und der Wählergemeinschaft „Stadtteile voran“ (die heutige UVB) unterstützten späteren Amtsinhaber Stefan Freitag.

Velbert anders wird 30 Jahre alt und feiert das. 03.10.2024 in Velbert
August-Friedrich Tonscheid ist seit 30 Jahren Fraktionsvorsitzender von „Velbert anders“. Er blickte zurück und nach vorne. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

Ansprechbar für Bürger, aber nicht bereit für Koalitionen

Die Erfolge macht Tonscheid auch daran fest, „dass wir immer ansprechbar und vor Ort waren, uns überall eingemischt haben“. Jeden Donnerstag bietet „Velbert anders“ eine Sprechstunde in der Geschäftsstelle (Wilhelmstraße 1) an. „In den letzten sechs Jahren hatten wir über 1000 Leute hier“, so Tonscheid, der bei Bürgerärger am liebsten „zum Telefonhörer greift, um im direkten Gespräch mit der Verwaltung Lösungen zu finden“. Außerdem sei man, heute wie auch schon vor 30 Jahren, „ideologisch unabhängig und keiner Landes-oder Bundesregierung verpflichtet“. Man sei in 30 Jahren nie eine Kooperation oder Koalition eingegangen, blickt Tonscheid auf andere Bündnisse, „die auf Teufel komm raus erhalten werden und in denen immer wieder Kröten geschluckt werden müssen“.

Velbert anders wird 30 Jahre alt und feiert das. 03.10.2024 in Velbert
Die „Velbert anders“-Geburtstagsfeier war gut besucht. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

Auch nach 30 Jahren noch immer Spaß daran, den Finger in Wunden zu legen

Auch nach 30 Jahren Kommunalpolitik macht es dem Fraktionsvorsitzenden noch immer Spaß, „zu pieksen“, den Finger immer wieder in die Wunden zu legen – „auch wenn sich nicht viel ändert“. Was dem Urgestein Sorgen macht: dass am Ende „zu oft die AfD profitiert“. Populismus gehe halt schneller und sei einfacher als sachliche Erklärungen zu den oft komplexen Themen, so Tonscheid, der auch beobachtet hat: „Der Ton wird rauer, vor allem, aber nicht nur in den sozialen Medien“.

Tonscheid will sich für die Wahl 2025 noch nicht festlegen

Er selbst will sich übrigens noch nicht festlegen, wie es für ihn nach der Kommunalwahl 2025 weitergeht. „Ich war an der Geburt des Kindes beteiligt, da will ich natürlich auch, dass es gut weitergeht.“ An Nachwuchs mangele es „Velbert anders“ nicht. In der ersten Reihe Verantwortung zu übernehmen, sei aber noch einmal eine andere Sache. „Vielleicht springe ich also doch noch mal in die Bresche“, so der 75-Jährige.