Velbert. Steigende Lebensmittelpreise und Ärger mit dem Arbeitgeber: Eine 19-Jährige ist auf die Tafel Niederberg angewiesen und erzählt ihre Geschichte.

Neben steigenden Lebensmittelpreisen wird zumindest gefühlt derzeit auch alles andere teurer: Strom, Gas, Tanken. Und das nicht nur um ein paar Cent, sondern deutlich. Diese Entwicklung macht sich mittlerweile auch bei der Tafel Niederberg in Velbert bemerkbar. Am letzten Dienstag wurden bei der Ausgabe an der Mettmanner Straße 53 mehr als 80 Kundinnen und Kunden gezählt. Deutlich mehr als noch vor einem Jahr, als die Zahl meist zwischen 60 und 65 pendelte.

Doch hinter diesen recht abstrakten Zahlen stecken Menschen. Geschichten. Schicksale. Viele Tafel-Besucher wollen aus Scham nicht darüber reden. Erst recht nicht, wenn es danach in der Zeitung steht. Alina Trepesch hingegen war bereit, ihre Geschichte zu erzählen.

Geboren ist die heute 19-Jährige im Ruhrgebiet – sie stamme, wie sie selbst sagt, aus schwierigen Familienverhältnissen. Aufgewachsen ist sie dann im Kinderheim in Velbert. „Das war gut – sonst würde ich vermutlich noch heute bei meiner Mutter sitzen und von Hartz IV leben.“

Träume, Wünsche und konkrete Pläne

Derzeit herrscht großer Andrang bei der Tafel Niederberg in Velbert. Einer der Gründe seien die deutlich gestiegenen Preise für Lebensmittel, meint Standortleiterin Monika Hülsiepen.
Derzeit herrscht großer Andrang bei der Tafel Niederberg in Velbert. Einer der Gründe seien die deutlich gestiegenen Preise für Lebensmittel, meint Standortleiterin Monika Hülsiepen. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Nur auf dem Sofa sitzen – das ist nichts für Alina. Sie hat Träume, Wünsche, Pläne. Und auf diese hat sie in den vergangenen Jahren auch intensiv hingearbeitet: Sie machte ihr Fachabitur und wollte dann auch ihren langgehegten Berufswunsch verwirklichen. „Ich möchte Laborantin werden, mit verschiedenen Proben arbeiten, diese analysieren.“ Zunächst sah auch alles gut aus: Sie bekam einen Platz an einer Schule, die Medizinisch-Technische Assistenten ausbildet. Dafür pendelte sie regelmäßig ins Ruhrgebiet, konnte mit dem Ausbildungsgehalt auch die 370 Euro Miete für ihre eigene kleine Wohnung bezahlen.

Velberterin erhält die Kündigung, während sie krankgeschrieben ist

Doch dann machte ihr ihre Psyche einen Strich durch die Rechnung. „Ich habe eine psychosomatische Erkrankung“, erzählt sie ganz offen. Die Folge unter anderem: Panikattacken. Im November des vergangenen Jahres ging es dann einfach nicht mehr. Alina ließ sich für zwei Wochen krankschreiben, erholte sich in dieser Zeit, war bereit, die Ausbildung fortzusetzen. Doch am letzten Tag ihrer Krankschreibung habe sie dann die Kündigung erhalten, erzählt sie. Die Begründung sei gewesen, dass ob der Corona-Situation die Zahl der Plätze in der Schule verringert werden müsse. Das sei schon ein Schock gewesen, sagt Alina Trepesch. Aber sie kennt es, kämpfen zu müssen: Nur fünf Tage später startete sie einen neuen Job – in einem Corona-Testzentrum. „Ich war froh, so schnell etwas gefunden zu haben. Und ich hatte mir vorgenommen, das Geld, was ich dort verdiene, zu sparen, den Führerschein zu machen, um dann im Herbst 2022 noch einmal die Ausbildung in Angriff zu nehmen.“

Vom Jobcenter erhält die 19-Jährige derzeit keine Leistungen

Alina Trepesch erzählt WAZ-Redakteur Philipp Nieländer in den Räumlichkeiten der Tafel Niederberg in Velbert ihre Geschichte.
Alina Trepesch erzählt WAZ-Redakteur Philipp Nieländer in den Räumlichkeiten der Tafel Niederberg in Velbert ihre Geschichte. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Das Dezember-Gehalt habe sie noch erhalten – dann sei ihr im Januar gekündigt worden, allerdings nicht schriftlich. Und das ist jetzt ihr großes Problem: Das Jobcenter zahlt nicht, wenn sie keine Kündigung vorlegen kann. Sie könnte sich die Kündigung ja nur ausgedacht haben. Das heißt: Die 19-Jährige bekommt keinerlei Leistungen des Jobcenters. Sie habe nur noch fünf Euro auf dem Konto. Freunde leihen ihr Geld für die wichtigsten Dinge. Die letzte Miete konnte sie jedoch nicht zahlen. Sie hofft, dass ihr Vermieter Verständnis für die aktuelle Situation hat. Einige andere Rechnungen sind auch noch offen. „Aber ich habe zum Beispiel Strom und die Haftpflichtversicherung bezahlt, damit da nicht noch mehr Probleme entstehen.“

Das Geld fehlt: Alina verzichtete auf Obst und Gemüse

Ihr 24-jähriger Freund sei ihr mental eine große Stütze. Finanziell helfen kann er ihr jedoch nicht. Er sei nicht übernommen worden, erzählt Alina, habe darum selbst nicht viel Geld zur Verfügung. In den Supermarkt geht die junge Frau derzeit nicht gerne: „Ich kann mir dort fast nichts leisten“, sagt sie. „Mit 5 Euro bekommt man wirklich nicht viel.“ Darum habe sie wochenlang auf Obst und Gemüse verzichtet, stattdessen die günstigsten Lebensmittel eingekauft. Dann habe sie bei der SGN Niederberg, wo sie sozialpsychiatrisch betreut wird, den Hinweis auf die Tafel Niederberg erhalten.

Vermeintliche Freunde wendeten sich ab

Mitte Januar war sie zum ersten Mal dort. „Ich hatte schon Hemmungen, dort hinzugehen und habe mich etwas geschämt“, erinnert sie sich. Sie sei jedoch freundlich empfangen worden – „auf Augenhöhe und nicht von oben herab“, sagt sie. „Die Mitarbeiter hier haben immer ein nettes Wort und sind selbst im größten Stress freundlich.“ Traurig ist sie hingegen, dass sich einige vermeintliche Freunde abgewendet haben, als sie hörten, dass sie zur Tafel geht. „Aber das waren dann auch keine wirklichen Freunde“, sagt sie.

Die Tafel hat „unheimlich gute Sachen“

Die Tafel Niederberg

Die Tafel Niederberg ist ein Angebot der Bergischen Diakonie, das es seit 2002 gibt. Mit vier Transportern wird überschüssige Ware bei Supermärkten und Discountern abgeholt. An den fünf Ausgabestellen in Velbert-Mitte (Mettmanner Straße 53 sowie Jahnstraße 1), Langenberg (Kreiersiepen 7), Heiligenhaus und Wülfrath engagieren sich inzwischen rund 120 Ehrenamtliche für diese Idee. Rund 750 Tüten werden pro Woche ausgegeben.

Für die 2 Euro, die sie bei der Tafel bezahle, erhalte sie unheimlich gute Sachen. „Besonders habe ich mich über Äpfel gefreut, oder auch über Spinat und anderes Gemüse. Das hat mir in den Wochen davor so sehr gefehlt.“ In ihrer Situation sei die Tafel „die Lebensrettung“, sagt sie – und hat bereits beschlossen: „Ich möchte mich hier auch ehrenamtlich engagieren.“

Zunächst muss sie aber die anderen Dinge regeln. Ein Rechtsanwalt unterstützt sie aktuell dabei, dass sie Leistungen vom Jobcenter erhält. Alina kämpft – wie sie es in ihren 19 Lebensjahren bisher immer getan hat.